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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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mich aus.»
    Â«Wie lange dauert das?», fragte Sophie nach.
    Er zog die Handbremse an und öffnete die Fahrertür.
    Â«Nur die Ruhe, die Damen. Das kann ich im Schlaf.»
    Ich schloss die Augen, weil mir von den Abgasen schlecht wurde. Hunderte von Autos schossen vorbei, Tausenden von Menschen konnte meine dunkle Welt gestohlen bleiben.
    Sophie öffnete ihre Tür und rief hinaus:
    Â«Und? Wie sieht’s aus?»
    Â«Ein platter Reifen eben. Gib mir noch drei Minuten.»
    In New York war es milder und wärmer als in Boston. Über uns zogen dünne Wolken vorbei. Die Bäume hatten noch nicht all ihr Laub verloren wie zu Hause. Ichfragte mich, wie weit Gregory wohl von diesem Highway entfernt wohnte. Ich hatte ihn nicht angerufen. Ich würde ihn auch nicht anrufen.
    Das Auto wurde einmal aufgebockt und federte dann zurück.
    Â«Sollen wir aussteigen?», rief Sophie ihm zu. «Nee. Bin fast fertig.»
    Nach wenigen Minuten saß er wieder am Steuer, fuhr jetzt schneller, er roch nach Öl und Rost. Als er den Highway verlassen hatte, bog er in eine Seitenstraße ein und parkte vor einem kleinen, unscheinbaren Gebäude mit der Aufschrift Long Island Medical Center Association. Er tat so, als hätte er das schon tausendmal gemacht. Hatte er ja auch.
    Drinnen kam ich in einen sauberen, hell erleuchteten Empfangsbereich, in dem es vor Frauen nur so wimmelte. Sie saßen auf Stühlen und schliefen in den im Gang aufgereihten La-Z-Boy-Liegesesseln. An der Rezeption gab mir eine Frau ein Klemmbrett mit weiteren Formularen, die ich ausfüllen sollte. Als ich sie ihr zurückgab, sagte sie, ich könne in den Behandlungsraum gehen.
    Â«Der Arzt kommt gleich.»
    Sophie begleitete mich noch bis zur Tür und umarmte mich. Ihre dünnen Arme hielten mich fest. «Gleich hast du’s hinter dir. Ich warte hier auf dich.»
    Das Zimmer war klein. An der Decke hing eine große rechteckige Leuchtröhre und verströmte Licht. Ich verkapselte mich und sagte mir, bring’s einfach hinter dich. Du bist hier. Vergiss das nicht.
    Ich zog mich aus und befolgte die Anweisungen der Krankenschwester. Zog den Kittel an. Die Unterwäscheaus. Konnte die Socken anbehalten. Ich legte mich hin, und der Arzt kam herein. Ein Mann mit einem ernsten, aber freundlichen Gesicht. Ich war hier, eine Fastmutter, und lag auf dem Rücken. Ich würde das hinter mich bringen. Es war fast vorbei. Er stach mir die Kanüle in die Handgelenksvene und sagte, ich solle bis drei zählen. Ich kann mich nicht erinnern, gezählt zu haben.
    Und dann wachte ich auf.
    Eine Krankenschwester half mir von der Liege und führte mich durch die Eingangshalle zu den Liegesesseln, die ich nach unserer Ankunft gesehen hatte. Ich schlief wieder ein. Ich wachte auf, weinte, schluchzte hysterisch, sog die Einsamkeit auf, Reue überkam mich, der Schmerz in der Scheide, Krämpfe, dann Erleichterung.
    Â«Schau mal, Sarah, ich hab dir einen Teddybär mitgebracht», sagte Sophie. Sie legte mir ein kleines Pelzwesen in die Armbeuge.
    Â«Jetzt können wir nach Hause.»

20. Kapitel
Juwelen
    Am Sonntag blieb ich mit Kopfschmerzen und Krämpfen im Bett. Vater akzeptierte das und ließ mich in Ruhe. Am Montag rief er von unten herauf.
    Â«Sarah! Es ist Viertel vor acht. Wir wollen doch nicht zu spät kommen!» Er kam die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Schnell zog ich mir die Decke bis zu den Schultern.
    Er klopfte.
    Â«Ich fühl mich immer noch krank.»
    Er öffnete die Tür, blieb im Flur stehen und sah herein. Ich hatte die Jalousien herabgelassen, und im Raum herrschte ein kränkliches Braun.
    Â«Frauensachen.»
    Das schreckte ihn ab und er zog die Tür wieder zu.
    Â«Ich sag Dora, sie soll im Schulsekretariat anrufen. Bis heute Abend. Ruf mich an, wenn du was brauchst. Okay?»
    Erwartungsvoll zog er die Augenbrauen hoch.
    Ich nickte und glitt tiefer unter die Bettdecke. «Mach die Tür bitte ganz zu.»
    Ich hörte, wie er unten mit Dora sprach. Die Hintertür fiel ins Schloss, und er ging zur Auffahrt hinunter. Ich sah auf die Uhr. Er war zu seinem alten präzisen Tagesablauf zurückgekehrt und verließ morgens um 7 Uhr 45 das Haus, als könne penetrante Pünktlichkeit wieder Ordnung in unser Leben bringen. Der Bogen der Zeitwaltete über seinen Stimmungsschwankungen, Roberts Gemeinheiten, Peters Flucht an die Westküste, Elliots sanften emotionalen
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