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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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auf, duschte, um den Geruch loszuwerden, und schob die Fahrt nach New York in der Schublade ganz nach hinten. Ich beugte mich aus dem Badezimmerfenster und rauchte zwei Zigaretten. Sog den Rauch tief in die Lungen.
    Diese Symptome hatte ich nicht: übermäßige Blutungen, Gerinnsel
größer
als Fünfzig-Cent-Münzen.
    Als die Wirkung des Aspirins nachließ und das Ziehen im Unterbauch, ein mahlendes Zerren, wieder einsetzte,nahm ich noch ein paar Tabletten. Auf dem Infoblatt stand, das sei im Rahmen des Üblichen. Übelkeit schnürte mir die Kehle zu. Ich keuchte. Ich warf mich im Bett hin und her. Ich wendete das Kissen und legte mich auf die kühle Seite. Ich schaltete das Radio ein.
    Die Fahrt hätte gestern oder letztes Jahr gewesen sein können. Die Fahrt nach New York, wo Gregory wohnte, hätte auch eine Atlantiküberquerung nach Europa sein können, ein Albtraum, der sich mit Strömungen des Unglaubens kreuzte. Und Gregory. Der schien nur noch ein Strichmännchen zu sein. Eine Idee, aus der nichts geworden war.
    Das war nicht ich.
    Nur war ich das.
    Ich wehrte mich dagegen. Ich wollte mich zusammenfalten, mich in eine Schublade legen, die so aufgeräumt wäre wie mein Zimmer, gesaugt, frei von Staub – frei von Leben. Ich war ein intelligentes und begabtes Mädchen, das die richtigen Entscheidungen traf. Ich hatte einen schrecklichen Fehler gemacht.
    Aber ich hatte auch mal eine Mutter gehabt.
    Â«Oooh», sagte sie mit mädchenhafter und freudiger Stimme. «Wollen wir uns zusammensetzen?» Die Popcorn-Schachtel stellte sie zwischen uns. Immer wieder trafen sich unsere Finger, wenn wir Händevoll aus der Schachtel herausschaufelten. Ich folgte ihr in die Mitte des Kinosaals, ungefähr zwanzig Reihen von der Leinwand entfernt, und setzte mich neben sie.
Bei einer unserer seltenen gemeinsamen Unternehmungen hatten wir einen James-Bond-Film gesehen. Allein. Zusammen. Kurz nach Grandpa’s Beerdigung. Kurz vor dem ersten Unfall.
    In Soquasets Kino lief
Diamantenfieber.
Mutter besorgte eine große Schachtel gebuttertes Popcorn und zwei Colas. Das Kino war halbvoll. Wir entdeckten keine bekannten Gesichter.
    Vorne wurde der rote Vorhang beiseite gezogen, und die Trailer fingen an. In ihrer dunkelblauen Hose und einem dazu passenden Pullover verschmolz Mutter mit dem dunklen Kinosaal, nur ihre freien Arme und das Gesicht wurden vom Licht von der Leinwand erhellt. In der Mitte des Films legte sie mir die Hand auf den Arm. Wir lachten, gackerten und keuchten, als unser Held, James Bond, durch eine Papierwand sprang, dem britischen Feind Pfeile in die Brust schoss und sich mit den Fäusten den Weg aus einem Fahrstuhl freikämpfte. Wir durchstreiften die Prärien von Südafrika und besuchten die Nobel-Casinos von Las Vegas. Ich sog ihren Butteratem ein, als James Bond in Lebensgefahr am Dach eines Wolkenkratzerhotels hing. Für kurze Zeit waren Mutter und ich actionsüchtige Gefährtinnen in einer unsichtbaren Achterbahn, versanken in unseren Sitzen und wünschten uns, die Fahrt würde niemals enden.
    ~~~~~~~~~~~
    Ich wollte ihre Abwesenheit berühren. Ich hob den Arm und schwenkte ihn durch die stehende Luft meines Zimmers. Ich spreizte die Finger und ballte sie dann wieder zur Faust. Sie war greifbar. Sie war unerreichbar. Ich wollte sie jetzt, hier in meinem Zimmer, am Fenster, in der Nacht, wollte, dass sie meinen dunklen Hunger sah, den leeren Keil zwischen meinen Rippen. Je weiter siesich von mir zurückzog, jenseits meines Fensters, hinter die Birke und das Dach der Fineburgs, in das schlichte Himmelsgewölbe, desto tiefer durchdrang mich ihre Abwesenheit. Ich sah sie dasitzen. Sie war da. Ich stand auf, stellte mich ans Fensterbrett und versuchte, mich in die unsichtbare Umhüllung ihres Körpers zu schmiegen. Die Zeit machte die Dinge schlimmer statt besser. Ihr Weggang grub sich ein, bohrte und schmerzte. Ich legte mich wieder ins Bett und sah sie vor mir, wie sie im Garten das Beet umgegraben und die Erde gelockert hatte, um die Winterzwiebeln einzupflanzen. Ihre Finger gruben sich unter die Wurzeln in die Kälte. Ihre rosaroten Fingernägel schützte sie mit Gartenhandschuhen aus dickem Wildleder. Der Kirschbaum hatte die meisten Blätter schon abgeworfen. Das knollige Wurzelwerk erstreckte sich über den braun werdenden Grasfleck und schützte so den Ort bis zum Frühling.
    Ich würde nicht hier sein
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