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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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Sondierungen und der Leichtfertigkeit seiner Tochter. Sherry hatte etwas damit zu tun. Sie war da und stupste ihn zurück ins Leben.
    Ich wartete ab, ob er das Auto nahm, aber an diesem Morgen scharrten seine Schuhe über die kieselnarbige Auffahrt, unsere kurze Straße hinab, rechts den längeren Hügel hinunter, wieder rechts einen flacheren Abschnitt, dann links auf die Hauptstraße Richtung Stadt und schließlich zum Bahnhof in der Nähe der Tierhandlung. Seine aus allen Nähten platzende Aktentasche voll mit dem literarischen Geifer des Tages, den Fälschungen eines Autors der Vergangenheit.
    Als Nächstes gingen Elliot und Robert. Robert schwatzte unter meinem Fenster, Elliot pfiff vor sich hin. In der Luft dieses frühen Oktobertages lag etwas, das ihre Stimmen klar und hell klingen ließ. Vielleicht waren es die ausdünnenden Bäume. Weniger Blätter, die den Schall schlucken konnten. Robert sagte, Elliot solle die Klappe halten und zuhören. Das war ihre übliche Morgenroutine. Elliot reagierte sofort, sprach aber ganz ruhig. Ich bewunderte ihn für seine Fähigkeit, Roberts Bissigkeit zu überhören, und ich glaube, dass Robert das wider Willen auch zu schätzen wusste. Auch wenn er sich meist nicht darum scherte, was andere von ihm dachten, ahnte Robert wohl, dass seine Gemeinheiten andere Menschen beunruhigten und aufrieben. Deswegen hatte er so wenige Freunde. Gleichzeitig härtete Elliot unter Roberts ständigen Wiederholungen ab. Er wurde stärker. Er öffnete sich der Welt und lernte, sie zu ertragen.
    Als sich die Geräusche im Haus gelegt und die Frühstücksdüfte sich verzogen hatten, kam Dora hoch und klopfte. Sie stellte mir einen Becher heißen Tee mit Milch und Zucker auf den Nachttisch. Das hatte ich nicht erwartet. Sie stellte auch ein Tellerchen mit gebuttertem Toast daneben und wartete, bis sie mich knabbern und trinken sah. Sie zog die Jalousien hoch, um die Morgensonne hereinzulassen, und als sie zurückkam, um das leere Geschirr zu holen, ließ sie sie wieder herab, damit mich die Nachmittagssonne nicht so blendete. Sie prüfte mit der Hand an meiner Stirn, ob ich Fieber hätte, und maß dann meine Temperatur. Alles normal.
    Â«Was das wohl für ein Virus ist.»
    Â«Ich hab’s nur im Bauch, weißt du. Mens und so», sagte ich und hoffte, das würde ihr etwas sagen, ohne dass ich wirklich etwas sagte. Sie presste die Lippen zusammen, suchte in der Zimmermitte etwas, das sie aufräumen konnte, und spürte, dass etwas nicht stimmte, weil ich selten zu Hause blieb. Ich war viel lieber draußen. Aber mein Zimmer war wie immer sauber und aufgeräumt, also ging sie.
    Meine Binde war blutgetränkt. Ich stand auf, um sie zu wechseln. In der New Yorker Klinik hatte man gesagt, damit müsse ich rechnen. Ich hatte ein Infoblatt zu den möglichen Symptomen sowie Antibiotika für zehn Tage bekommen. Die Krankenschwester hatte gesagt, in der ersten Woche sollte ich es ruhig angehen lassen. Gesteigerte Aktivitäten könnten neue Blutungen auslösen. Sie hatte mir auch ein Rezept für die Antibabypille gegeben. Jeden Tag eine. Auch dazu hatte ich ein Infoblatt bekommen. Wie grundlegend es war, daran zu denken, wie gefährlich,es zu vergessen. Ich war ein kluger Kopf. Früher. Dachte ich jedenfalls.
    Ich bewahrte das alles in einer Schachtel in der Nachttischschublade auf. Auf einem dritten Blatt standen Notfallnummern und ein Nachsorgetermin beim Krankenhauspsychologen in Beacon Hill. Ich hatte eine Handvoll kodeinversetzte Aspirin – das sollte die leichten Krämpfe lindern, die Gebärmutterspasmen. Die Tabletten beruhigten auch meinen Kopf. Ich fühlte mich dadurch warm und geborgen. Ich lag auf dem Rücken und sah ins Leere, vor meinem Fenster flirrten kleine gelbe Birkenblätter, ein Eichhörnchen flitzte über einen Ast und nahm dann eine Gebetshaltung ein. Ich lauschte meinem reibungslos surrenden Körper, unbekümmert wie ein Kind, so einfach wie an jenen Tagen, an denen schräg einfallender Sonnenschein oder der Tupfer Blau in einer Wolke genug Wissen war, mehr als genug, um durch den Tag zu kommen.
    Ich schlief.
    Die Monatsbinden wickelte ich in Toilettenpapier ein. Der kleine Mülleimer im Badezimmer verströmte den säuerlich stechenden Geruch von altem Blut und getrockneten Körperflüssigkeiten. Genauso roch auch mein Nachthemd. Ich stand
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