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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
Autoren: Lene Kaaberbol
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1  DER TURMFALKE

    Gefällt es dir?«, fragte mein Vater und sah mich neugierig an.
    »Na klar«, log ich. »Es ist perfekt!«
    Das Zimmer war größer als das, was ich zu Hause bei Mama in der Merkurgade hatte, die Wände strahlten weiß und rochen immer noch nach feuchter Dispersionsfarbe. Eine komplette Wand bestand nur aus Fenstern, mit einer Glastür, die auf den Balkon führte, und wenn man genau hinsah, konnte man ein bisschen Meerwasser zwischen den Kränen erahnen. Meine Sachen aus Papas altem Haus standen, in orangefarbenen Umzugskisten verpackt, neben dem neuen Bett, das er für mich gekauft hatte.
    Mein Vater hatte einen neuen Job. Statt am anderen Ende des Landes in einer uralten Doppelhaushälfte mit weiß verputzten Wänden, Ziegeldach, einem Garten voller Apfelbäume und etwas zu langem Gras zu wohnen, war er hierhergezogen – in eine nagelneue, mit Sicherheit schweineteure Wohnung im neuen Hafengebäude, ungefähr eine Viertelstunde Fahrzeit mit der Linie 18 von der Merkurgade entfernt. Und er freute sich wie verrückt darauf, sagte er, in Zukunft viel mehr Zeit mit mir zu verbringen als früher.
    »Früher«, also die letzten neun Jahre meines Lebens, gab es eine feste Routine: vierzehn Tage in den Sommerferien, eine Woche in den Weihnachtsferien, die Hälfte der Osterferien und zwei Wochenenden im Herbst. Wegen der ganzen Sache mit Chimära, dem Kater und Tante Isa, die gezwungen gewesen war, mir, wie sie es nannte, eine Lektion in Selbstverteidigung für Wildhexen zu erteilen, war im letzten Herbst allerdings nur ein Wochenende daraus geworden. Aber von alldem ahnte mein Vater nicht das Geringste. Er dachte, genau wie fast alle anderen, dass ich einige Wochen am Katzenkratzfieber erkrankt war.
    Aber davon abgesehen, waren meine Besuche bei ihm immer gleich gewesen – gemütliche Ferientage in dem alten Haus. Ich konnte mich mit Mikael und Sara von nebenan treffen, und Papa nahm sich Urlaub, um mit mir ins Schwimmbad zu gehen, missglückte Brötchen zu backen, Kniffel zu spielen, Popcorn zu machen und jede Menge alter Filme anzuschauen. Er war wirklich ein richtig guter Ferienvater.
    Aber jetzt war er kein Ferienvater mehr. Seine Hälfte des Hauses im Kastanjevej war verkauft, und das hieß nichts anderes als kein gemütliches Rumgammeln mit Mikael und Sara mehr, keine Höhlen zwischen den Johannisbeersträuchern, kein Gewitterkakao vor dem Holzofen, während der Regen auf das Ziegeldach trommelt und dort, wo die Regenrinne immer überläuft, auf die Terrasse rauscht.
    Er war so glücklich darüber, dass wir jetzt näher zusammenrücken würden, und ich freute mich ja auch. Ich konnte durchaus das Gute darin sehen, einfach mal in der Woche abends bei ihm vorbeischauen zu können, statt dass Monate vergingen, bis wir uns wiedersahen. Aber es fühlte sich trotzdem ein bisschen so an, als hätte jemand mein Ferienhaus verkauft, ohne mich vorher zu fragen.
    »Wir haben Abendsonne auf dem Balkon«, sagte er und öffnete die Glastür. »Im Sommer können wir draußen sitzen und grillen.«
    Es war Februar und lausig kalt. Meine Vorfreude auf lustige Grillabende hielt sich in Grenzen.
    Ein kalter Windstoß rüttelte an den neuen Rollos und trug den Geruch von Diesel, Teer und Salzwasser ins Zimmer, als plötzlich eine gefiederte Rakete die Hausfassade hinunterjagte, über die Balkonmauer flatterte und geradewegs durch die offene Glastür schoss.
    »Was …«, japste mein Vater verdattert.
    Es war ein Raubvogel, eigentlich kein besonders großer, aber zwischen den Zimmerwänden wirkte er geradezu riesig. Er bremste ab, spreizte flügelschlagend seine Schwanzfedern zu einem Fächer auf, von den pechschwarzen Spitzen abgesehen waren sie ganz hell, und stand für den Bruchteil einer Sekunde still in der Luft. Dann schoss er direkt auf mich zu. Instinktiv streckte ich den Arm aus, und er landete ein wenig unbeholfen auf meinem Handgelenk. Seine gelben Krallen bohrten sich durch meinen Pulliärmel bis auf die Haut und klammerten sich fest. Er schlug mit den gefleckten Flügeln, um das Gleichgewicht zu halten.
    Dass ihm das schwerfiel, lag daran, dass er etwas in der einen Klaue hielt. Einen zusammengefalteten Zettel, den er mir ausgesprochen gebieterisch entgegenstreckte. Er stieß ein paar nachdrückliche Tschirrp-Laute aus, und ich nahm ihm den Zettel ab, denn das war ganz eindeutig genau das, was ich tun sollte. Im selben Augenblick, in dem ich seinem Befehl gehorcht hatte, erhob er sich in die Luft und
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