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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz
Autoren: Kai Meyer
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Anführer stand völlig reglos da. Sein Arm bewegte sich nicht einen Millimeter. Er schüttelte die schreiende Sandra ab, sie stürzte hinab in den Schlamm.
    »Nein!«, brüllte sie noch einmal, ein Flüstern nur gegen das tosende Unwetter und den Lärm des Helikopters. »Nein, verdammt!«
    Fenn reagierte nicht. Sein Finger krümmte sich langsam um den Abzug.
    Und Carsten verstand mit einem Mal alles. Endlich.
    Sandra zog ihre Waffe aus dem Halfter, richtete sie auf Fenn und schoss ihm von unten in den Kopf.
    Der Hubschrauber stand mit erkaltendem Motor am Waldrand. Nachdem Konstantin ausgestiegen war, war ihm ein zweiter Mann gefolgt. Auch ihn kannte Carsten.
    Es war Steinberg, der alte Wachmann aus Tiefental.
    Zwanzig Minuten später saßen die beiden Männer mit Carsten, Nina und Sandra im Passagierraum des Helikopters und blickten durch die offene Schiebetür hinaus auf den Turm und die finsteren Wälder. Der Regen hatte nicht nachgelassen, doch jetzt störte er keinen mehr von ihnen. Fast war es, als spüle er all den Schmutz endgültig davon. Den Schmutz und den Tod.
    Fenns Leiche lag mit all den anderen auf einer Plastikplane am Turm. Männer in grünen Uniformen zogen Decken über die einzelnen Körper. Sie erwarteten für den Abtransport weitere Hubschrauber. Soldaten, an Leinen gesichert, stiegen hinab in die Felswand, um den Körper des Mannes zu bergen, den Carsten hinuntergestoßen hatte.
    »Der Bundesnachrichtendienst hat lange zugesehen, mit welchen Mitteln Nawatzki und sein Zweig des Netzes vorgingen«, sagte Konstantin. Seine Stimme klang müde. Er musste in den vergangenen Jahren für seine Beförderung hart gearbeitet haben.
    »Ehrlich gesagt, wir sind froh, dass es mit ihm und seinen Leuten vorbei ist. Dank Ihnen beiden und dank dieser jungen Dame hier«, sagte er und deutete auf Sandra.
    Sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Sie wissen, dass ich das nicht für Sie getan habe.«
    »Um ein weiteres Mal ehrlich zu sein«, erwiderte Konstantin, »mich interessieren Ihre Gründe nicht im Geringsten.«
    Carsten sah sie an. »Wann haben sie dich angeworben?«
    Ihr Blick spuckte Feuer. »Niemand hat mich angeworben.«
    Carsten wusste, dass ihre Wut sich nicht gegen ihn, sondern die beiden alten Männer richtete. Vor allem aber gegen sich selbst. »Sie haben mich gezwungen.«
    »Na, na«, beschwichtigte Steinberg. Er spielte weiter seine Rolle des höflichen Rentners. »Der BND zwingt niemanden zu irgendetwas. Man hat Ihnen lediglich die Konsequenzen Ihres Handelns dargelegt. Ein großer Unterschied, meinen Sie nicht?«
    »Natürlich«, spie sie ihm entgegen und beugte sich ruckartig vor. Der Schmerz durch den grob verarzteten Streifschuss an ihrer Hüfte ließ sie ebenso schnell wieder zurückzucken.
    Nina saß stumm neben Carsten auf der Passagierbank. Sanitäter hatten ihr Bein behandelt. Es war ein sauberer Durchschuss, aber nachdem die Wunde gesäubert und verbunden worden war, genügte es, sie irgendwann in den nächsten Stunden in ein Krankenhaus zu bringen. Carsten hielt ihre Hand, als könne er damit die Ereignisse ungeschehen machen. Ein schreckliches Gefühl von Hilflosigkeit pochte dumpf in seinem Magen.
    Sandra wandte sich an Konstantin. »Ich würde gerne allein mit Carsten sprechen.«
    Der Nachrichtendienstmann nickte. »Sicher. Aber laufen Sie nicht zu weit fort.«
    Carsten gab Nina einen Kuss. »Ich bin in zwei Minuten zurück.«
    Sie blickte ihn aus großen Augen an, dann zuckte ein Lächeln um ihre Mundwinkel. »Kein Problem«, sagte sie. Er erwiderte das Lächeln.
    Sandra humpelte neben ihm her, als sie sich vom Hubschrauber entfernten und in Richtung der Schlucht das Ödland überquerten. »Du weißt, warum ich es getan habe, oder?«, fragte sie leise und sah ihn dabei an.
    »Ich glaube schon«, erwiderte er. Er spürte ein Ziehen im Unterkiefer und ein scharfes Brennen in den Augen.
    »Sie sind vor einigen Monaten dahintergekommen, wer ich bin und wo sie mich finden«, sagte Sandra. »Sie haben mich eines Abends abgefangen und in eine leere Wohnung gesperrt. Dann tauchte Konstantin auf. Er wusste alles über mich, wirklich alles. Und auch über dich. Er wusste genau, wie er mich zur Mitarbeit zwingen konnte.« Sie lächelte. In ihren Augen blitzten Tränen.
    Carsten versuchte nicht mehr, seinen Kummer hinunterzuschlucken. Hier oben, auf dieser Felsklippe, war mehr zerstört worden, als er bisher angenommen hatte.
    »Konstantin sagte, sie würden darauf achten, dass dir
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