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Schwarzes Blut

Schwarzes Blut

Titel: Schwarzes Blut
Autoren: Christopher Pike
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Schönheit darunter leidet. Und doch bricht es mir fast das Herz, ihn wiederzusehen; das tut es – sowohl körperlich als auch seelisch –, seit er in mein Leben getreten ist. Radha, Krishnas Freundin, hat mir einmal gesagt, daß die Sehnsucht älter ist als die Liebe und daß das eine nicht ohne das andere existieren kann. Ihr Name bedeutete ja auch Sehnsucht, und der von Krishna Liebe. Ich hatte allerdings nie den Eindruck, daß ihre Beziehung die beiden auf eine solche Art quälte, wie mich meine Leidenschaft für Ray quält. Ich habe ihm das Königreich der ewigen Nacht geschenkt, und alles, was er sich jetzt wünscht, ist ein Spaziergang in der Sonne. Ich merke, daß er schwach ist und Hunger haben muß. Nach sechs Wochen muß ich ihn immer noch nötigen, etwas zu sich zu nehmen, und dabei quälen oder töten wir niemanden, um uns Essen zu beschaffen. Er scheint mir nicht glücklich zu sein, und das ist es, was mich am meisten bedrückt.
    »Wenn du ein Bulle wärst«, entgegnet er, »könnte ich dir leicht die Waffe abnehmen.«
»Und dabei ein Riesenspektakel veranstalten.«
Er weist auf das Blut an meinem Hemd. »Sieht so aus, als hättest du heute abend das eine oder andere Spektakel veranstaltet.« Weil ich nicht darauf reagiere, fährt er fort. »Wie war Los Angeles?«
»Sage ich dir, wenn wir zu Hause sind.« Ich drehe mich um. »Komm.«
»Nein.«
Ich halte inne, schaue ihn über die Schulter an. »Die Sonne geht bald auf.«
»Mir egal.«
»Aber nicht mehr, wenn du erst mal reingucken mußt.« Er schweigt. Ich setze mich neben ihn, lege ihm den Arm um die Schultern. »Ist es wegen Pat? Du kannst doch mit ihr reden, wenn du meinst, du mußt. Ich finde die Idee allerdings nicht besonders toll.«
Er schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht mir ihr reden.«
»Und was willst du dann hier?«
Er starrt mich an. »Ich bin hier, weil ich nirgendwo sonst trauern kann.«
»Ray.«
»Ich weiß ja nicht mal, wo mein Vater liegt.« Er wendet sich ab und zuckt mit den Schultern. »Macht auch nichts. Es ist eben vorbei.«
Ich nehme seine Hand; nur widerwillig läßt er es zu. »Ich kann dich dahin bringen, wo ich deinen Vater begraben habe. Es ist aber bloß ein zugeschüttetes Erdloch. Das wird dich auch nicht groß weiterbringen.«
Er schaut hoch zu den Sternen. »Glaubst du, auf anderen Sternen gibt es auch Vampire?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht gibt es irgendwo in einer weit entfernten Milchstraße einen Planeten voller Vampire. Unser Planet hätte dieses Schicksal auch beinah erlitten.«
Er nickt. »Wenn Krishna nicht gewesen wäre.«
»Genau, wenn Krishna nicht gewesen wäre.«
Sein Blick bleibt auf die Sterne gerichtet. »Wenn es so einen Planeten gäbe, auf dem nur Vampire lebten, würde er es nicht lange machen. Sie würden sich alle gegenseitig umbringen.« Er schaut mich an. »Mache ich dich auch fertig?«
Traurig schüttele ich den Kopf. »Nein. Du gibst mir eine Menge. Ich wünschte bloß, ich wüßte, was ich dir zurückgeben kann, um dir zu helfen, endlich zu vergessen.«
Sanft lächelt er. »Ich will gar nicht vergessen, Sita. Und das ist vielleicht gerade mein Problem…« Er unterbricht sich: »Fahr mich zu seinem Grab. Wir brauchen nicht lange dazubleiben.«
»Bestimmt?«
»Bestimmt.«
Ich richte mich auf und reiche ihm die Hand. »Einverstanden.«
Wir fahren in den Wald, wo ich ihn zwischen den Bäumen hindurchführe. Ich erinnere mich an die Stelle, an der ich Privatdetektiv Michael Riley begraben habe. Natürlich tue ich das, denn ich erinnere mich an alles. Außerdem nehme ich den schwachen Verwesungsgeruch wahr, der von seiner Leiche ausgeht und aus zwei Meter Tiefe durch die Erde empordringt. Ich befürchte, daß auch Ray ihn riecht. Im Leben eines Vampirs gibt es Berge von Leichen; sie rufen aber nicht solche starken Emotionen hervor, wie dies bei den meisten Menschen der Fall ist. Als wir an der Stelle ankommen, sinkt Ray auf die Knie, und ich ziehe mich ein paar Meter zurück, weil ich ihn mit seinen Gefühlen allein lassen möchte – mit seiner tiefen Trauer. Ich bin noch immer zu schwach, um sie einfach an mir abprallen zu lassen. Oder vielleicht fühle ich mich zu schuldig. Ich höre, wie Ray Tränen vergießt – auf einen nicht vorhandenen Grabstein.
Die beiden Wunden, die ich heute abend erlitten habe, sind vollständig verheilt, aber meine Brust brennt noch immer. Ich entsinne mich an den Abend, an dem Ray mir den Pfahl aus dem Herzen zog, während ganz in der Nähe mein
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