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Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Jocelyne Godard
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1.
    In der angesehenen Teppichweberei der Webermeisterin Alix Cassex in Tours herrschte von morgens bis abends rege Betriebsamkeit. Hier entstanden die prachtvollen, bei Königen und Fürsten hochgeschätzten Tapisserien.
    Ein besonders strenger Winter kündigte sich an, als die junge Weberin an zwei neuen großen Wandteppichen arbeitete. Den letzten Auftrag mit dem Titel Trojanischer Krieg , ein Ensemble aus acht Wandteppichen mit großartigen Bildern vom Krieg und Kämpfen hoch zu Ross auf einem Millefleurs-Hintergrund, hatte König Ludwig XII. längst von ihr erhalten und in seinen Salons in Blois aufhängen lassen. Außerdem waren in Alix’ Werkstätten auch die Damen mit dem Einhorn gefertigt worden, sechs große Tableaus mit dem Fabeltier in herrschaftlichem Dekor, die nun die Wände von Château d’Alençon zierten. Alix hatte die Teppiche für die Comtesse d’Angoulême gewebt, die sie ihrer Tochter zur Hochzeit geschenkt hatte.
    Diese großen Aufträge stammten noch aus der Zeit, als Alix’ Mann Jacquou lebte und sie beide von schönen, großen Werkstätten träumten. Um über den Tod ihres Mannes nicht schwermütig zu werden, hatte Alix alle Erinnerungen an diese Zeit tief in ihrem Herzen vergraben. 1)
    Dann war Alessandro und mit ihm eine neue Liebe in ihr Leben getreten. Der Florentiner Bankier machte den Geist der italienischen Renaissance in weiten Teilen Europas bekannt und hatte Alix gezeigt, welch vielfältige Wandlungen sie in Kunst und Kultur auslöste. In Florenz war Alix den großen Meistern Raffael, Leonardo da Vinci, Michelangelo und anderen bedeutenden Malern begegnet, die wie Van Orley und Van Roome aus Flandern stammten und sich mit Leib und Seele der epochemachenden Renaissance verschrieben hatten.
    All diese berühmten Maler fertigten Kartons für die Webermeister an, und die europäischen Könige und ihre hohen Würdenträger wollten nur noch Bilder und Teppiche von den Größten unter ihnen.
    Manchmal träumte Alix von der Geburt Christi , die sie eigenhändig und ausschließlich aus Goldfaden für Königin Johanna von Kastilien gewebt hatte. Damals arbeiteten nur Arnold und seine Frau Arnaude für sie, und doch hütete ihre ganz besondere kleine Werkstatt bereits einige Schätze! Schon war der segensreiche Einfluss des Vatikan zu spüren, und dass sie nicht aufgaben, war vor allem der liebevollen Protektion von Kardinal Jean de Villiers aus Rom zu verdanken, der ihnen allen Schwierigkeiten und Katastrophen zum Trotz Mut machte.
    Wie viel Arbeit und wie viel Freude hatte es seither gegeben, und wie viele Tränen waren geflossen, doch weder wegen Jacquou noch wegen Alessandro erlaubte sich Alix in Trauer zu versinken. Den einen hatte ihr die Pest genommen, der andere war den Kanonen vor Bologna zum Opfer gefallen, als sie gerade seine Tochter zur Welt brachte. Die würdige Nachfahrin derer von Cassex, seit mehr als einem Jahrhundert eine Familie von Webermeistern, deren Anfänge sich bis zur Entstehung der Offenbarung des heiligen Johannes zurückverfolgen ließen, war viel zu unternehmungslustig und ehrgeizig, als dass sie sich zu Jammern und Wehklagen oder gar zum Aufgeben hätte hinreißen lassen. Nun war ihr nur der treue Mathias geblieben, der sie über alles liebte. Er verehrte sie mit stiller Hingabe, weil ihm seine überwältigenden leidenschaftlichen Gefühle nicht gestattet waren. Alix duldete lediglich die zarte Freundschaft, die sie verband, weil sie den Gedanken an eine neue Heirat noch weit von sich wies. Warum, konnte sie selbst nicht erklären. Sollte ihr wegen der langen glücklichen Jahre mit ihrem Jacquou und der allzu kurzen Zeit mit ihrem Geliebten Alessandro jedes andere Glück verwehrt sein, selbst wenn es zum Greifen nahe war?
    Solche Fragen stellte sich Alix einfach nicht, wusste sie doch, dass ihr die Arbeit die fehlende Liebe ersetzte. Wo sollte sie ihr Glück jetzt finden, wenn nicht in ihrer Werkstatt oder bei ihrer kleinen Valentine, Alessandros Tochter? Außerdem erinnerten ihre Freunde sie immer wieder daran, dass sie das Leben noch vor sich hatte. Alix war tatsächlich noch sehr jung, und nicht wenige Männer drehten sich nach ihrer anmutigen Gestalt um.
    Sie stand auf und ging zu Philippe und Grégoire, den beiden jungen Arbeitern, die sie kurz vor ihrer letzten Reise nach Florenz eingestellt hatte. Arnold und Landry, die Vorarbeiter in der Werkstatt, hatten sie in die hohe Kunst der Teppichweberei eingeführt. Die beiden arbeiteten gerade an einer
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