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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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miteinander flüsterten. Was hatte der gräfliche Vogt so Wichtiges zu verhandeln?
    Endlich, der Stabhalter trat vor. Auf dem Platz wurde es still: »Aus übergroßer Gnade hat der Graf von Wirtemberg die Strafe umgewandelt: Du, Johann Heinrich Christoph Schimmelfeldt, und du, Christoph Schimmelfeldt, sein Sohn, ihr werdet beide hinausgeführt vor die Stadt auf die Richtstätte, genannt die Hauptstatt, dort werdet ihr kniend um Gnade bitten, dann werdet ihr auf Befehl des Grafen auf ewige Zeiten aus der Stadt gewiesen, dass ihr sie bei hoher Strafe nie mehr betretet. Und all euer Hab und Gut, liegendes und fahrendes, verfällt dem gräflichen Haus. Gegeben am Freitag nach Mauritius 1347!«
    »Das hat sich gelohnt für den Grafen«, meinte einer der Bürger enttäuscht.
    »Zwei Hinrichtungen, da hätten sie geschaut in Sielmingen. Da hätte man Jahre zu erzählen gehabt.«
    »Kommt, wir müssen uns beeilen. Das sieht man auch nicht jeden Tag, wie ein so reicher Bürger um Gnade bitten muss.«
    »Seht mal, was macht denn der?«
    Der verurteilte Kaufmann war mit einem raschen Schritt, wobei er sich unter der Hand des Henkers wegduckte, nach vorne getreten, das Gesicht schmerzverzerrt. Man sah, wie er den Herren etwas zurief. Dann hatte ihn der Henker schon gepackt und grob nach hinten gerissen. Ein Knäuel aus drei, vier Richtern bildete sich, sie steckten die Köpfe zusammen. In einer augenscheinlichen Aufregung, die nicht recht zu seiner feierlichen Kleidung passen wollte, versuchte einer der Richter hinter den Verurteilten herzurennen, die auf den Platz hinausgeführt wurden. Aber ein anderer hielt ihn zurück und redete auf ihn ein.
    »Wenn man wüsste, was der zu denen gesagt hat!«
    »Bedankt wird er sich nicht haben!«
    »Dabei hat er allen Grund dazu. Nicht einmal am Pranger muss er stehen, wie es doch jeder Lump muss, der aus der Stadt gewiesen wird.«
    »Und nicht einmal mit der Rute werden sie gestrichen!«
    »Und nicht einmal gebrandmarkt.«
    Die Aussätzige sah eine Flut von Menschen hinausdrängen vor das Tor. Scheu wich man ihr aus, als sie durch eine kleine Pforte hinaus zu der Hinrichtungsstätte kam. Winzig waren die beiden Verurteilten auf dem runden Hügel vor der Mauer. Sie sah, wie sich die Verurteilten neigten und niederknieten, wie der Henker ihnen mit einer Rute den Rücken berührte. Dann ging sie zurück zu der elenden Behausung der Aussätzigen weit vor den Toren der Stadt.
     
     
    Ein kalter Wind war aufgekommen, als die beiden Ausgewiesenen die endlose Steige bei der Burg Kaltental hinaufstiegen. Der Vater keuchte. Es ging langsam, langsam.
    Christoph war betäubt und zitterte am ganzen Leib. Sein Atem ging stoßweise und schien immer wieder aussetzen zu wollen. Er weinte nicht mehr, aber das Schluchzen, das in der Kehle lauerte, war nur schwer zu unterdrücken. Es war ihm, als müsse er laut und ununterbrochen schreien.
    An einer Biegung stieg über den Baumwipfeln plötzlich fast überdeutlich die Stadt Stuttgart auf – die Türme der Stiftskirche, der Block des Wasserschlosses, Dächer, Mauertürme. Dann zog sich Dunst in das Tal und Bäume versperrten die Sicht.
    Sehr langsam kamen die Gedanken. Wohin? – Es war aus mit ihnen! Keine Stadt nahm sie auf! Weit und breit war kein Bauer, bei dem sie als Knecht unterkommen konnten. Es sprach sich rasch herum, wenn jemand aus einer Stadt ausgewiesen wurde. Es war verboten, sich mit einem solchen einzulassen. Berührte man ihn, wurde man unehrlich, denn die Hand des Henkers lag unsichtbar immer auf ihm. Man konnte sie nicht abschütteln und nicht abwaschen. Die Hand des Henkers war lang und folgte mit jedem Fuhrwerk. Sie war ein Makel wie ein Brandmal. Sie war wie eine ansteckende Krankheit. Er spürte noch immer diese schwere Hand auf seiner Schulter.
    Er fühlte sich unsäglich schmutzig.
    Verstohlen und von der Seite schaute er den Vater an. Kreidebleich war der unter den wilden Bartstoppeln. Beängstigend weiß waren seine Lippen. Stier geradeaus gerichtet war der Blick. Er murmelte. Als der Vater einmal stolperte, griff er nach Christophs Arm, aber der Griff war seltsam unsicher. Christoph konnte das Schweigen nicht brechen. Irgendwie tat es aber gut, den Vater zu stützen.
    Seine Gedanken gingen zurück.
    Vor nicht einmal zwei Wochen hatte es sehr früh am Morgen, als sie noch in den Betten lagen, an die Haustüre geknallt wie heute, Soldaten kamen hereingepoltert und nahmen den Vater mit, kaum dass er sich an dem kühlen
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