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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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Septembermorgen einen Umhang überwerfen konnte. Christoph kam bei Nachbarn unter. Als er nach einigen Tagen in das Haus zurückkehrte, waren ihre Knechte und Mägde verschwunden.
    Christoph biss sich auf die Lippen. Wenige Tage vor seiner Verhaftung war der Vater im Kontor morgens schmunzelnd zu ihm an das Stehpult getreten. Er hatte den Vater seit dem Tod der Mutter nicht mehr so gesehen. »Willst du mit nach Italien? Im Frühjahr geht’s ab. Du darfst mit. Ein Kaufmann muss hinaus in die Welt, dort lernt er am meisten. Was sollst du zu Hause herumsitzen! In ein paar Jahren können wir für dich schon ein Kontor in Mailand oder Venedig einrichten. Dann wird sich unser Handel erst richtig ausdehnen.«
    Italien! Christoph war sprachlos gewesen vor Glück. Und das sollte erst der Anfang sein: »Wir gehen später auch zusammen in den Orient, zum Kaiser von Konstantinopel und vielleicht noch weiter nach Osten. Wir kaufen die Gewürze möglichst nahe an der Quelle ein, wir beide!«
    Schon im Frühjahr würde es nach Italien gehen! Über die Alpen! Genua, Mailand, Venedig, wo es Kirchen gab, fast ganz aus Gold. Und bald sollte er ein eigenes Kontor in Italien, vielleicht sogar im Orient bekommen. Er würde zu den Kaufleuten gehören, die am Tisch des Grafen von Wirtemberg von fremden Ländern berichteten, die einen Bisamapfel aus Elfenbein aus der Tasche zogen, als wäre es nichts. Er würde die Straßen des Gewürzhandels erforschen und die Verbindungen zu den großen Handelsgesellschaften erweitern. Noch war niemand dort gewesen, wo die Gewürze herkamen oder die kostbare Seide, in den geheimnisvollen Ländern Indien und China.
    So hatten sie an den folgenden Tagen geredet. Wie schön das Leben war. Man konnte es kaum erwarten.
    Er presste die Nägel in die Handballen – dann – am frühen Morgen – die Schläge gegen die Türe –
    Der Vater war angeklagt, peinlich angeklagt, weil er Gewichte gefälscht habe. Auf dieses Verbrechen stand die Todesstrafe. Christoph hatte bis heute nichts mehr von seinem Vater gehört, auch besuchen durfte er ihn nicht im Turm, in den man ihn wie einen Mörder gelegt hatte. Er war einige Male barsch abgewiesen worden, nicht einmal Essen durfte er dem Vater bringen lassen.
    Er hatte versucht zum Grafen vorzudringen. Aber der habe keine Zeit für einen kleinen Jungen, hatte es geheißen – kleinen Jungen! Zweimal wäre es ihm fast geglückt, den Grafen auf dem Marktplatz anzusprechen, über den er geritten war. Aber einige Bauern mit Bittschriften hatten ihre Ellbogen und Fäuste eingesetzt. Er hatte um sich geschlagen, geschrien, gedrückt, gebissen, gekrallt, aber die Bauern waren vierschrötige Klötze, die ihn weggedrückt hatten wie einen mageren Sperling.
    Christoph ging mit gesenktem Kopf.
    War der Vater wirklich schuldig? Es war ganz unmöglich, sich das vorzustellen. Sein Vater: ein grauhaariger, nüchterner Mann, der sich mit Härte und Mut zum führenden Gewürzkaufmann der ganzen Grafschaft Wirtemberg gemacht hatte, der als erster der Stuttgarter Kaufleute nach Italien gegangen war. Gewichte fälschen! Das passte nicht zu ihm, er war immer ein rechtlich denkender Mann gewesen, immer hatte er Christoph gesagt, dass man zwar hart sein müsse im Geschäft: »Sonst machen es andere! Aber mach es so, dass jeder, dem du einmal etwas verkauft hast, wieder zu dir kommt.«
    Er konnte es nicht getan haben!
    Welchen Sinn sollte es auch haben! Der Vater bestimmte weit und breit, über die Grafschaft Wirtemberg hinaus, die Preise der Gewürze. Was sollte es ihm nützen, Gewichte zu fälschen?
    Es war aber auch unmöglich, sich vorzustellen, dass das Gericht sich geirrt und ein Fehlurteil gesprochen hatte. Zwar hörte man Geschichten von Menschen, die unschuldig verurteilt worden waren. Aber das waren Märchen oder die Urteile waren vor sehr langer Zeit gefällt worden. Heute gab es solche Fehlurteile nicht mehr.
    Tagelang war er ruhelos durch das leere Haus gegangen: die leere Stube, die einsamen Kammern, die lauten Schritte, die Truhen, Tische und Stühle, die immer fremder wurden.
    Immer war man am Abend nach Hause gegangen, einfach nach Hause. Das gab es nicht mehr! Nie mehr! Nicht mehr den vertrauten Türklopfer, die Haustüre mit ihren kunstvollen Beschlägen, die Stube mit den Holzwänden und der geschnitzten Holzdecke und den Dielen, die so vertraut geknarrt hatten. Das warme Bett, in das ihn früher die Mutter – die Mutter –
    Der Wind trug erste Regenspritzer vom Wald
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