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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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auf die Schulter. »Du hast ihm gefallen. Jetzt bist du drin.«

 
     
     
     
     
     
    I ch bemühte mich, Aníbal Carcaño sofort wieder aus meinen Gedanken zu verbannen. Obwohl ich zugeben musste, dass er beunruhigende Dinge über den Klimawandel gesagt hatte. Seiner Meinung nach würden sich Konzepte wie Nation, Rasse, Kultur und Wirtschaft radikal verändern, wenn sich das Problem zuspitzte, ob es den Konservativen und Nationalisten nun gefiel oder nicht. Für geraume Zeit würden wir Erdbewohner wieder Nomaden auf der Suche nach dem Gelobten Land sein. Es würde Orte geben, die nie wieder bewohnbar wären, vergleichbar mit Teilen eines menschlichen Körpers, die durch Exzesse unbrauchbar gemacht wurden. Sie sind immer noch da, aber sie sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie sind das unnütze Bein, das zur Hälfte abgestorbene Herz, die fehlgeleiteten Neuronen.
    Vielleicht stimmte es ja, was er gesagt hatte. Ich wusste nur eins, nämlich, dass der Nachrichtensprecher im Fernsehen von einem Obdachlosen gesprochen hatte, der mitten im September erfroren war. Auf Kälte sind wir hier nicht vorbereitet. Und ich spreche nicht davon, in Mexico City Eislaufbahnen anzulegen, damit die Leute dort samstagnachmittags vom Klimawandel profitieren können. Ich spreche davon, dass es nicht gut gehen kann, wenn Schnee und eine chaotische Stadt aufeinandertreffen. Ich glaube, das ist so ziemlich das Mittelmäßigste, was man über dieses Problem sagen kann. Aber ich hatte Teresa Sábato ja gewarnt, dass der Vater ihres Kindes ein armer Teufel ist.
    Nachdem Carcaño sich verabschiedet hatte, beschloss ich jedenfalls, meinen Heimweg durch den Großstadtdschungel nicht zum Leidensweg Christi werden zu lassen, und schlug Wintilo vor, sich mit mir im Tupinampa zu besaufen.
    Er antwortete, er habe für immer mit dem Trinken aufgehört.
    Und endete noch besoffener als ich. Gegen neun Uhr abends wankten wir aus der Bar, besaßen aber die Courage, auf die Plaza Garibaldi weiterzuziehen. Ich hasste die Plaza Garibaldi aus genau einem Grund: Mariachis. Ich habe es schon tausend Mal gesagt und würde es auch fünfzigtausend weitere Male sagen, wenn ich damit eine Bewegung der Lärmbereinigung anregen könnte: Ich hasse Musik. Mariachis sind da keine Ausnahme. Im Gegenteil, ich hasse sie, zusammen mit ihren Trompeten und ihren Stimmen, die frustriert klingen, weil sie sich nicht anhören wie die von Jorge Negrete, Pedro Infante oder Antonio Aguilar (die ich auch hasse, obwohl sie schon tot sind).
    Die Plaza Garibaldi stellte also ein Opfer dar, aber wenigstens gab es dort ein Eckchen, wo man gemütlich trinken konnte. Außerdem machen sie im Aquelarre de Villa fleischgefüllte Tacos, die zarter sind als eine Liebkosung von Engelsflügeln.
    Ich wollte nicht über Carcaño reden. Wintilo schon. Er sprach über ihn, als sei er der Guru einer dieser Gringosekten, die dich in einem Ufo gen Himmel bringen, wenn das Ende der Welt gekommen ist. Er nannte ihn gewitzt, cool, politisch versiert. Carcaño sei gerade dabei, einen schwindelerregenden Aufstieg zu machen, und er, Wintilo, sei der Mann seines Vertrauens. Während er redete, sah ich wieder den dreizehnjährigen Wintilo vor mir, fasziniert von den Anführern der großen Jungs, für die er die Rolle des prügelnden Lakaien übernahm. Wintilo beherrschte damals den Fausthieb in die Visage, den Arschtritt und den unerwarteten Kopfstoß auf die Nase. Damit hat er mir unzählige Male die Haut gerettet. Und was hatte ich ihm zu bieten? Normalerweise ist es so, dass der körperlich Schwache dem Stärkeren intellektuell auf die Sprünge hilft, aber nicht in meinem Fall. Das einzige Fach, in dem ich ganz gut war, war Biologie, doch ich weigerte mich, Frösche oder Kaninchen zu sezieren. Deshalb denke ich, dass Wintilo drei Gründe dafür gehabt haben könnte, all diese Male den Kopf für mich hinzuhalten: mein sympathisches Wesen, sein gutes Herz oder die Tatsache, dass er mein mangelndes Talent für Schlägereien nicht mitansehen konnte.
    Ich ziehe es vor, auf eine gründlichere Analyse der Fakten zu verzichten.
    Nun war ich an der Reihe, etwas zu sagen. Weil ich vorurteilsfrei an die Sache herangehen wollte, stellte ich zwei Fragen: Ich wollte wissen, welchem politischen Lager Carcaño angehöre, und ob er das Polizeihandwerk erlernt habe oder einer von denen sei, die schon mit der Waffe in der Hand auf die Welt gekommen sind.
    Wintilo antwortete mit so pamphletistischer Ausführlichkeit, dass ich
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