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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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Café.
    Auf meinem Weg dorthin war mir ein Satz ins Hirn gemeißelt: Kein Job unter fünfzigtausend Pesos im Monat ist es wert, dafür die Würde des Nichtstuns aufzugeben.
    Ich fand nur mit Mühe einen Parkplatz und hatte nicht übel Lust, mich unter einem Vorwand gleich wieder aus dem Staub zu machen.
    Wintilo und das sogenannte hohe Tier hatten sich in Schale geschmissen, während ich im Karopullover daherkam. Sofort rutschte mir das Herz in die Hose. Ich bat um Entschuldigung für die Verspätung und setzte mich, um mir anzuhören, was sie zu sagen hatten.
    »Gil, das hier ist Teniente Aníbal Carcaño.«
    Für mich klang der Name nach dem Clown eines Wanderzirkus.
    »Teniente«, sagte Wintilo und ließ eine Hand auf meine Schulter fallen, wie um seine Ware vorzuzeigen. »Der Mann, den Sie hier vor sich sehen, ist kein gewöhnlicher Bursche.«
    »Klar doch.« Carcaños Stimme klang, als würde man seinen Schuh über den Boden reiben, um Hundescheiße loszuwerden. »Schon viel von dir gehört. Die Sache mit den Tunten, mit denen sie dich erwischt haben, hatte eine gewisse Komik …«
    Mit einem Schlag fiel mir jene erste Ermittlung im Fall Alicia del Moral wieder ein. Ich hatte damals einen jungen Mann im Verdacht, der in einem Vips-Schnellrestaurant arbeitete, und war ihm zu seiner Wohnung gefolgt, wo ich ihn mit Yayo, einem Verwandten von Alicia, bei wilden Reiterspielchen erwischte. Die Zeitungen machten sich einen Spaß daraus, mich eine zudringliche Schwuchtel und Schlimmeres zu nennen.
    »Und was hast du seither so getrieben, Gil?«, fragte mich Carcaño.
    »Dies und das.«
    »Aber gearbeitet hast du, nehme ich an?«
    Ich nickte.
    »Gut, denn ein Mann ohne Arbeit ist so wertlos wie ein Furz. Möchtest du etwas trinken, Gil?«
    Mir stand der Sinn nach Tequila, aber die Kaffees der beiden schüchterten mich ein, also bestellte ich das Gleiche, einen Cappuccino mit überlaufendem Milchschaum.
    »Kannst du mit Waffen umgehen, Gil?«
    »Das Übliche …«
    »Kalaschnikow? AK-47? AR-15? Uzi? Browning 9mm?«
    Wintilo kam mir zu Hilfe: »Gil kann alles, Boss. Und was er nicht kann, lernt er schnell. Oder ich bringe es ihm bei …«
    Aber das Verhör war noch nicht zu Ende.
    »Warum hast du uns verlassen?«, fragte Carcaño vorwurfsvoll.
    Irgendwie klang seine Frage nach Jesus am Kreuz.
    »Ich meine die Polizei …«
    »Ich hatte damals eine persönliche Krise.«
    »Er ließ sich scheiden und machte die Hölle durch«, merkte Wintilo an.
    Teniente Carcaño warf mir einen Blick zu, hinter dem sich heimliche Freude am Scheitern anderer verbarg, und sprach über Dinge, die weder etwas mit der Sache zu tun hatten, noch irgendeinen Zusammenhang untereinander aufwiesen: den Klimawandel, seine Großmutter aus Michoacán, die Fleischklöße kochte, wie es sich gehörte, seine Schuhe aus Krokodilleder und den Verfall der Catedral Mayor.
    Ich spürte, wie sich eine plötzliche Lethargie meiner bemächtigte. Es war sechs Uhr abends, und in der Stadt begann sich jene besondere Atmosphäre auszubreiten, die entsteht, bevor der Tag sich verabschiedet. Ganze Trupps von müden Büroangestellten, Arbeitern, Studenten und Hausierern strömten aus den Minibussen oder stiegen hinein.
    »Sehr gut«, sagte Carcaño, »dann lasse ich euch jetzt allein.«
    Erst glaubte ich, mich verhört zu haben, aber der Typ schüttelte tatsächlich die Krümel der Kekse von sich ab, die zum Kaffee serviert worden waren, und stand auf. Er war ein kräftiger Mann von gepflegtem Äußeren, dunkelhäutig und hässlich. Er nahm Wintilo beiseite, vermutlich, um ihm Anweisungen zu geben, denn dieser hing wie ein treuer Hund an seinen Lippen.
    Eine dunkelblaue Limousine kam aus der Tiefgarage unter dem Café gefahren und blieb rücksichtslos mitten auf der Avenida Insurgentes stehen, wo der Verkehr ihretwegen ins Stocken geriet. Kein Auto wagte es, zu hupen. Vermutlich entwickeln die Leute ein immer besseres Gespür für Fahrzeuge der Kriminalpolizei, da ist kein Schild mit der Aufschrift Vorsicht vor dem Hund! nötig.
    Zwei korpulente Männer stiegen aus dem Auto. Einer von ihnen öffnete die hintere Tür, während sich der andere umsah wie ein Sicherheitsmann von der Bank, bevor die Knete in den Panzerwagen geladen wird.
    Nachdem sich Carcaño mit einer Handbewegung von mir verabschiedet hatte, fuhr das Auto rasch davon. Auf der Avenida Insurgentes nahm der Verkehr wieder seinen normalen Lauf.
    »Gut gemacht, alter Gauner!«, sagte Wintilo und schlug mir fest
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