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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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›wir sind so weit?‹
    Ich schleppte mich ins Schlafzimmer und öffnete eine Schublade, wobei mir zum ersten Mal der Gedanke kam, dass ich vielleicht die Hände verlieren würde, oder zumindest einen Finger. Ich zog zwei große Socken heraus und wickelte mir eine um jede Hand. Nachdem ich den Knoten mit den Zähnen zugemacht hatte, warf ich mich aufs Bett und wartete darauf, dass ich ohnmächtig wurde. Aber die stechenden Schmerzen begannen nachzulassen. Ich nutzte die Gnadenfrist dazu, ins Bad zu gehen und das Morphium aufzuheben, das ich hinters Klo gekickt hatte. Die Schmerzen waren inzwischen zurückgekehrt und brachten mich fast zum Schreien. Ich setzte mir die Spritze direkt in eine Hand, ohne zu wissen, ob es funktionieren würde. Dann ließ ich sie auf den Boden fallen, während mein Kopf nach vorne gegen den Spiegel sackte, der zerbrach. Meine Beine knickten ein, aber es gelang mir, mich am Waschbecken festzuhalten, bevor ich auf den Boden aufschlug. Ich fiel dennoch, nur langsamer.
    Nach einer Weile konnte ich ins Wohnzimmer zurückkehren und die Geldbündel zusammensuchen. Ich zählte das Geld, verlor jedoch den Überblick, was am Morphium lag, das ein vages Wohlgefühl in mir auslöste.
    Ich erbrach mich erneut, dieses Mal über das Geld und über den Sessel, auf dem sich ein pelziges Etwas bewegte. Es war Rhett Butler.
    Es klingelte zweimal. Ich ging zur Tür und legte die Hände darauf. Eine der Socken hatte ich bereits verloren, die andere war mit Blut vollgesogen.
    Wieder klingelte es zweimal hintereinander.
    Ich klebte mit der Nase an der Tür und schnaubte beim Gedanken an all die Verbrechen, die Wintilo mir gestanden hatte. An all die Toten, an seinen Kopfstoßkampf, daran, dass er recht hatte, als er sagte, ich hätte nichts getan, um ihn daran zu hindern, diesen Typen in Frauenkleidung derart übel zuzurichten. Ich dachte an Judith, traurige Judith, pathetische Judith, die gestorben war, während draußen die Kinder feierten. Ich fragte mich, ob Roberto wieder in sein wirkliches Zuhause zurückkehren würde, wenn er merkte, dass Aníbal Carcaño nicht zurückkam. War das das einzig Gute, das ich bei dieser ganzen Sache bewirkt hatte? Dass ein Transsexueller ins Innere der Metro-Unterführungen entlang der Calzada de Tlalpan zurückkehrte? Damit er jeden Morgen zur kaputten Jungfrau beten konnte, bevor er seine Runden drehte und an die Mauern urinierte, wie Wintilo Izquierdo es genannt hatte?
    »Gil, bist du da?«
    Der Kater strich um meine Füße. Er miaute und legte die Nase an den Türschlitz.
    »Gil, wir sind’s.«
    Es war Teresa Sábato mit der Rotznase Saúl.
    Ich blickte über die Schulter, betrachtete die verstreuten Geldbündel, das Blut, das Erbrochene, die ausrangierte Socke. Dachte an Pater Pila, der in meinem Sessel seinem Infarkt erlag. An meine Nächte, in denen ich allein vor dem Fernseher saß und Verkaufssendungen anschaute, die einem das Glück in drei Raten verkaufen. Ich betrachtete das Foto vom Perro Baleares; seine Trauermiene, die mich anflehte, ihn aus der Unterwelt zu retten, aus jenem Fegefeuer, das weder Himmel noch Hölle war, nur ein Teil dieser Stadt. Ich entdeckte kleine Soldaten, die sich an einem Faden des Sofabezugs abseilten. Guerilleros, ebenfalls winzig, die Blutlachen überquerten, einige ertranken im Meer aus Erbrochenem. Einer von ihnen, der der Kommandeur zu sein schien, klammerte sich an einem Stück Banane fest, das jedoch auf dem klebrigen Schleim herumwirbelte und ihn mit sich in die Tiefe der Miasmen riss.
    Die Schreie der Guerilleros lockten die Soldaten an, und das Gemetzel begann. Schüsse, Kugelhagel. Helikopter, die den Dschungel mit Feuer überzogen. Eine Frau, die die Mutter von Teresa Sábato zu sein schien, kam zwischen den Flammen hervor und suchte ihre Söhne. Ay, meine Söhne, sagte sie, ay, meine Söhne. Neben ihr ging ein Obstverkäufer, schob einen Holzkarren und schrie: Kokosnüsse, frische Kokosnüsse! Und die Mutter von Teresa suchte zwischen diesen Kokosnüssen nach den Köpfen, aber sie fand sie nicht. Schweißgebadet stellte ich mir vor, wie ich die Tür öffnete und Teresa Sábato den Mund so weit aufreißen würde wie Pater Pila, wenn sie dieses Schauspiel sah. Und Saúl, mein Sohn, würde alle diese Bilder mit seinen Schwammaugen aufsaugen … und sie würden seinen Blick nie wieder verlassen.
    »Gil, ich höre dich atmen … Mach uns auf! Wir sind hier, um bei dir einzuziehen!«
    »Scher dich verdammt noch mal zur
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