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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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    W em, glaubst du, sieht er ähnlich?«
    Das war das Erste, was mich Teresa Sábato fragte, als ich die Tür aufmachte und sie mit diesem properen Baby im Arm dastehen sah. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, daher ging ich davon aus, dass sie einen Witz machte; sie war Kolumbianerin und konnte auf diese besondere Weise lächeln, die einem das Gefühl gab, der wichtigste Stern ihres Universums zu sein.
    Während ich sie hereinbat, dachte ich darüber nach, wie ich sie wieder loswerden konnte. Sie sah sich um, als würde sie am liebsten sofort bei mir einziehen, zumindest kam es mir so vor. Aber wenn ich mit den Nerven am Ende bin, ist mit meiner Intuition nicht viel anzufangen. Noch weniger, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle.
    »Lange nicht mehr gesehen, Gil.«
    Etwas über ein Jahr, dachte ich und schätzte das Alter des Babys ab.
    »Willst du ihn mal halten?«
    Ich machte einen Schritt nach hinten, als sie versuchte, mir dieses konturlose, rosige kleine Etwas aufzudrängen. Teresa setzte sich, nahm das Baby aufs Knie und fing an, mit ihm Hoppe-Reiter zu spielen. Dem kleinen Mann schien es zu gefallen, so durchgeschüttelt zu werden, jedenfalls trällerte und sabberte er vor Freude.
    »Wie ist es dir ergangen, Gil?«
    »Wie immer. Mal so, mal so.«
    »Und dein Vater? Ist er wieder aufgetaucht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das tut mir leid.«
    »Und deine Mutter?«, fragte ich.
    »Auch nicht.«
    »Tut mir leid«
    Sie bat mich, dem Kleinen ein Fläschchen warm machen zu dürfen. Ich sah ihr zu, wie sie geschickt Wasser mit Milchpulver aus einer Packung mit der Aufschrift Altersstufe zwei vermischte und sich dabei problemlos in meiner Küche zurechtfand. Unterdessen nahm das Baby mit seinen dunklen Augen wie ein Schwamm jeden Winkel meines Lebensraumes in sich auf. Ja, er war mein Eigen, auch wenn die Wände einen ordentlichen Anstrich vertragen hätten und die Möbel in einem Siebzigerjahre-Museum besser aufgehoben gewesen wären.
    Als sie dem Kleinen die Flasche in den Mund steckte, setzte er die Lider genauso genussvoll auf Halbmast wie ich, wenn ich an der Brust seiner Mutter gesaugt hatte. Ich war kurz davor, sie zu fragen, warum sie ihn nicht stillte, hielt es dann aber für besser, mich gegenüber dem Kind so zu verhalten, als handelte es sich um ein körperloses Wesen.
    »Weißt du, wer dieser Mann ist?«, fragte sie die Rotznase. Das Baby bedachte mich mit einem zweifelnden Blick.
    Ich machte dem Spielchen ein Ende und teilte Teresa mit, dass ich ausgehen wollte.
    »Gil«, sagte sie ernst. »Der Junge ist von dir.«
    Sie musste es noch einmal wiederholen, weil mir die Kinnlade heruntergefallen war.
    »Von dir.«
    »Soso.«
    »Nix soso. Von dir.«
    »Scheiße, tu mir das nicht an!«
    »Was soll ich dir nicht antun? Wir haben es zusammen getan.«
    Dass diese Möglichkeit bestand, konnte ich nicht abstreiten, zwischen April und Oktober des vergangenen Jahres hatten wir uns miteinander vergnügt. Dennoch sah ich mich gezwungen, die unangenehme Frage zu stellen: »Und woher weiß ich, dass er von mir ist?«
    Sie warf mir prompt die erwartete Antwort an den Kopf: »Dreckskerl!«
    Ich verstand ihren Ärger. Sie war eine tolle Frau und schien eine noch bessere Mutter zu sein. Nur fühlte ich mich nicht dazu bereit, wieder eine unklar definierte Vaterrolle einzunehmen.
    »Warum kommst du erst jetzt damit?«
    »Weil ich versucht habe, ein neues Leben anzufangen.«
    »Und das ist dir nicht gelungen?«
    »Doch, aber mein Gewissen hat mir keine Ruhe gelassen. Saúl ist dein Fleisch und Blut, und eines Tages wird er wissen wollen, wer sein Vater ist.«
    Mir war wohl anzusehen, dass es mir lieber gewesen wäre, diesen Namen nie gehört zu haben. Teresas Gesicht nahm einen verletzten, Gefahr verheißenden Ausdruck an.
    Ich beschloss, sie ein wenig zum Nachdenken anzuregen.
    »Hältst du es für eine gute Idee, wenn der Junge erfährt, dass sein Vater ein armer Teufel ist?«
    »Du strengst dich immerhin an.«
    »Sage ich ja, nur mit anderen Worten. Genau das sind wir armen Teufel schließlich: Menschen, die sich anstrengen, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen. Warum denkst du nicht noch ein bisschen darüber nach?«
    »Das habe ich schon, du weißt doch, dass ich nie eine Entscheidung treffe, ohne es mir vorher gründlich überlegt zu haben.«
    Das war gelogen. Teresa gehörte zu den Menschen, die ein völlig falsches Bild von sich haben. Sie hielt sich für unsicher, war aber in
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