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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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Wirklichkeit die geborene Anführerin. Falls sie noch den gleichen Job hatte, war sie immerhin Vorgesetzte von eintausendfünfhundert Näherinnen in einer Kleiderfabrik.
    »Was genau willst du von mir?«
    »Was denkst du, Gil?«
    »Vielleicht das, was man normalerweise in so einem Fall verlangt …«
    »Und das wäre?«
    Ich bereute sofort, diese Richtung eingeschlagen zu haben, und versuchte schnell zurückzurudern: »Bist du immer noch in der Modebranche?«
    »Was könnte ich wohl von dir verlangen, Gil?«
    »Die Ehe.«
    Ihr Schweigen dauerte nur zwei Sekunden. Dann brach Teresa in ihr typisches Gelächter aus: tief und dröhnend. Abrupt stand sie auf. Ich hob vorsichtshalber die Hände, nicht, um mich zu verteidigen, sondern um mir im Notfall die Augen zuhalten zu können. In solchen Momenten ist es besser, wenn der Gegner sich ungestört austoben kann, so nimmt man selbst am wenigsten Schaden.
    Aber ihre Reaktion entwaffnete mich vollkommen.
    »Armer Teufel«, sagte sie mit der Traurigkeit eines Engels angesichts eines unbelehrbaren Sünders, der sich nicht aus der Hölle retten lassen will. Sie machte auf dem Absatz kehrt. Das Baby warf mir einen beunruhigenden Blick zu, während der kleine Kopf auf seinen Schultern tanzte. Sein Gesicht schien Teresas Worte zu wiederholen. Armer Teufel. Plötzlich fing es an zu weinen, ich weiß nicht, ob aus Mitleid oder weil Babys in die Zukunft blicken können. Falls ja, muss ihm meine verheerend vorgekommen sein.
    Die Tür fiel zu, und ich blieb mit dem miesen Gefühl zurück, auf mein eigen Fleisch und Blut gespuckt zu haben.

 
     
     
     
     
     
    I ch hatte Teresa vielleicht nichts besonders Nettes gesagt, aber doch die Wahrheit: Ich würde ausgehen. Und zwar nicht mit einer Frau, denn seit meiner Scheidung hatte ich, so absurd es sich anhört, zölibatär gelebt, mit Ausnahme meiner Liaison mit Teresa. Und es ist ebenfalls die reine Wahrheit, dass ich von den zwei Millionen Pesos, die ich erhielt, nachdem ich die Entführung von Alicia del Moral aufgeklärt hatte, in sieben Monaten nur dreiunddreißigtausend Mäuse ausgegeben hatte.
    Rückblick: Nachdem mein Vater verschwunden war, erhielt ich einen Anruf von den Entführern. Ihren Anweisungen folgend, fand ich mich schließlich in einer Sackgasse wieder, an deren Ende hinter einem Zaun die Lichter der Stadt funkelten, die sich für mich in ein unzugängliches Labyrinth verwandelt hatte. Ich hörte nie wieder etwas von meinem Vater. Die Entführer riefen nicht wieder an. Ich wartete weiter. Wie eine sitzen gelassene Dorfbraut. Mit gesenktem Blick ging ich durch die Straßen und durchlebte Qualen, weil ich diese beträchtliche Summe besaß, mit der ich mir ein schönes Leben hätte machen können, es aber nicht tat, Qualen, weil ich wusste, dass die Scheine alt wurden und langsam den Putzmittelgeruch des Vorratsschranks annahmen. Geld gab ich nur im Supermarkt aus, für das Gehalt von Lupe, meiner Haushaltshilfe, für Bier von der Sorte, die nach Büchse und Lebensmittelvergiftung schmeckt, und dafür, meinen alten Datsun Baujahr 77 in Schuss zu halten, dem ich das halbe Eisenherz austauschen musste, als ihn mitten auf der Ringautobahn der finale Infarkt ereilte. (Der nagelneue silbergraue Tsuru Nissan, mit dem ich geliebäugelt hatte, blieb, wie so viele meiner Träume, unerfüllt). Sicher, hin und wieder gönnte ich mir einen Luxus, ein paar Drinks im Tupinampa mit meinem Kumpel, dem Trompeter Chucho Santos, oder Wochenenden allein in einem Hotel mit Pool in Cuernavaca, die nicht dazu dienten, mich wichtigzumachen, sondern nur bewirkten, dass ich mich hin- und hergerissen fühlte zwischen meinem guten Recht, mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, und den Gewissensbissen, weil ich Stücke aus der Geldsumme pickte, die ich vielleicht noch brauchen würde, um meinen Vater freizukaufen.
    Bevor ich mich wieder aus dem Haus traute, vergingen zwei Monate, in denen ich auf einen möglichen Anruf der Entführer wartete. Dann wagte ich mich auf eine Reise nach Kuba, wo ich Teresa Sábato kennenlernte. Die Chemie tat ihr Übriges, zusätzlich zu unserem gemeinsamen Schicksal, denn auch eines ihrer Familienmitglieder war vermisst. Nur dass ihre Mutter einen Brief hinterlassen hatte, in dem sie erklärte, sie habe sich schon genug für die Familie aufgeopfert und wolle nun noch ein wenig persönliche Freude erleben, bevor ihre Osteoporose sie hinwegraffe. Das war nicht zu viel verlangt. Die Geschichte der Frau war
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