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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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dass dein Vater noch am Leben ist?«
    »Offen gesagt, weiß ich es nicht.«
    »Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?«
    »Vor eineinhalb Jahren.«
    Über Carcaños Gesicht huschte ein mitfühlender Ausdruck.
    »Ich will meinen Toten begraben können, wenn er denn tot ist«, erklärte ich.
    »Dann bin ich jetzt am Zug«, sagte er und verschränkte die Hände. An seinen Fingern funkelten zwei fette Ringe, der Ehering und der Absolventenring von einer dieser Wirtschaftsschulen, auf denen sie dir in sechs Monaten Unternehmensführung beibringen. Er schien mir etwas Wichtiges sagen zu wollen, aber in diesem Moment kam die Sekretärin herein, um zu fragen, ob wir alles hätten, was wir bräuchten. Höflich sah mich Carcaño an, worauf ich sagte, dass ich mit meinem Espresso ganz zufrieden sei. In Wirklichkeit wäre mir ein Schluck aus der Whiskyflasche lieber gewesen, die auf einem Regalbrett neben der finster dreinblickenden Figur eines eisernen Napoleon vor sich hinstaubte. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich so früh noch keinen schlechten Eindruck machen durfte.
    Als die Sekretärin wieder gegangen war, löffelte Carcaño in aller Ruhe Zucker in seinen Kaffee und genehmigte sich einen Schluck. Wintilo ließ ihn nicht aus den Augen, er fixierte ihn so intensiv wie ein Labrador sein Herrchen. Es fehlte nur, dass er die Zunge heraushängen ließ, sich nach dem Schuss auf die Beute stürzte und mit einem Nagetier zwischen den Zähnen zurückkam, um sich von seinem Chef den Kopf tätscheln und sagen zu lassen: Guter Junge, mach schön Platz und lass die Zunge nicht so raushängen.
    »Ich werde dir sagen, welche Karten ich in der Hand habe, Gil Baleares.«
    Gezinkte Karten, dachte ich, sonst würdest du nicht so übertrieben ernst klingen.
    »Ich bin umringt von Scheiße.«
    Meiner Meinung nach kam Wintilo Izquierdo bei diesem Satz nicht besonders gut weg.
    »Er ist die Ausnahme«, korrigierte sich Carcaño, als könnte er meine Gedanken lesen. »Aber abgesehen von Wintilo wartet hier jeder nur darauf, mir bei lebendigem Leib die Eingeweide herauszureißen. Ich sage dir, wie es ist. Offen und ehrlich. Von Mann zu Mann, und nicht von Chef zu Untergebenem. Ich stecke mitten in einer Skorpiongrube. Die Zeiten sind gefährlich, das muss ich dir nicht sagen. Jeden Tag gibt es Tote, mehr aufseiten des Gesetzes als aufseiten der Kriminellen. Ich muss mich mit Menschen umgeben, denen ich vertrauen kann und die gleichzeitig die Eier am richtigen Fleck haben.«
    »Das ist bei Gil der Fall«, merkte Wintilo an. »Und groß genug sind sie auch.«
    Ich strafte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.
    »Woraus würde meine Arbeit bestehen?«
    »Aus allem ein bisschen.«
    »Von welchem Allem-ein-bisschen sprechen wir? Ich werde mich nämlich auf keine allzu schmutzigen Fälle einlassen. Nicht aus Anstand, sondern weil es mir meine Gesundheit nicht erlaubt.«
    Carcaño sah zu Wintilo hinüber, der anscheinend dafür zuständig war, mit den unangenehmen Fakten herauszurücken: »Wir beschäftigen uns hier weder mit dem Kleindealer, der vor der Schule Koksbriefchen verkauft, noch mit der Entführung der Tochter eines arschkriechenden Zuckerbäckers, und auch nicht mit dem Priester, der sich am Messdiener vergreift. Wir sind für die speziellen Aufgaben zuständig.«
    »Speziell ist ein relatives Konzept«, äußerte ich.
    »Da kannst du was lernen, Wintilo«, sagte Carcaño und tippte sich an die Schläfe. »Dieser Gil weiß das, was er auf den Schultern trägt, zu gebrauchen.«
    Mag sein, dass er sich auf meinen Kopf bezog. Was ich dagegen in diesem Moment auf meinen Schultern spürte, war die Last der ganzen Welt.
    »Ich kann dir keine Details verraten, Gil. Überleg es dir. Wenn du den Job annimmst, unterhalten wir uns weiter. Das hier ist die oberste Liga der Polizei, und die birgt ihre Gefahren, ja, und ist mit Gewalt verbunden, auch das. Soll ich dir jetzt mit dem Dienst fürs Vaterland kommen? Nicht, wenn es mir nicht dabei hilft, dich zu überzeugen. Aber eine Sache sage ich dir trotzdem: Wir sind die Guten. Jetzt geh und denk nach. Polier dein Köpfchen auf Hochglanz. Denk an deinen Vater. Er hat ein wenig Hoffnung verdient, findest du nicht?«
    Der Scheißkerl drückte auf die Tränendrüse.
    Wintilo begleitete mich zum Fahrstuhl, wo er mich mit einer Geste zum Schweigen brachte, als ich wieder auf das Thema zurückkommen wollte. Sobald wir auf der Straße waren, sagte er, ich solle zum nächsten Gespräch alle Unterlagen meines
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