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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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Vaters mitbringen, von der Geburtsurkunde bis zum Taufschein, absolut alles.
    Die meinten es offensichtlich ernst. Und das gab mir das Gefühl, verletzlich zu sein.
     
    Lupe fand die Spuren der Leidenschaft unter dem Sofa: die Socken, die ich übereilt abgestreift hatte, und einen Lippenstift, der unter das Möbelstück gerollt war, als Teresa sich wieder hatte zurechtmachen wollen. Aber Lupe war keine Frau der frontalen Angriffe. Lieber erteilte sie einem Ratschläge in Form von beunruhigenden Anspielungen. Sie redete von dummen alten Männern, die Affären mit jungen Mädchen eingehen und sich dabei vollkommen lächerlich machen. Ich weiß nicht, wie sie darauf kam, dass Teresa ein junges Mädchen war. Sie war fünfunddreißig.
    Ich ignorierte die Anspielung mit dem lächerlichen alten Mann und warf einen Blick in die Zeitung. Dort war eine Erklärung von Aníbal Carcaño abgedruckt, dem stellvertretenden Direktor der Abteilung Spezialaufgaben der Kriminalpolizei von Mexiko City. Sein Titel nahm mehr Platz ein als das, was über seine Arbeit geschrieben wurde. Nirgendwo las ich, was »Spezialaufgaben« bedeutete.
    Es klingelte an der Tür. Ich hörte, wie Lupe im Flur dümmliche Laute von sich gab. Sie sprach mit einem Baby. Als sie zurückkam, hatte sie den Kleinen auf dem Arm und redete auf infantile Weise auf ihn ein.
    Die Mutter sah mich lakonisch an. Ich bot ihr einen Kaffee an, und sie willigte ein.
    »Kaffee, Kaffeechen für die Mami«, trällerte Lupe mit ihrer albernen Stimme und nahm das Baby mit in die Küche.
    »Neulich Abend hatte ich einen schwachen Moment«, sagte Teresa.
    »Den hatten wir beide«, antwortete ich.
    »Nein, du nicht. Du hast ihn nur ausgenutzt. Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden.«
    »Gehst du nach Kolumbien zurück?«
    »So weit weg nicht, aber ich werde nicht mehr zu dir kommen. Und ich akzeptiere nicht, was du gesagt hast. Das mit dem DNA-Test. Das fand ich sehr unpersönlich und beleidigend.«
    »Das haben wissenschaftliche Tests nun mal an sich.«
    Sie setzte sich neben mich und sagte langsam: »Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie einsam du bist, Gil Baleares.«
    Ich muss zugeben, dass sie recht hatte. Ich fühlte mich einsam. Sehr einsam. Und das lag nicht so sehr an der Abwesenheit meines Vaters oder daran, dass ich meine Nächte mit alten Fernsehfilmen teilte, statt mit einer verwandten Seele oder zumindest irgendeiner Seele, die mir ein wenig ähnlich war.
    »Dein Vater, deine Exfrau, deine Tochter, sie sind alle weg. Hast du dich mal gefragt, warum? Was hast du getan, um sie aus deinem Leben zu vertreiben? Gefällt dir die Einsamkeit, Gil?«
    Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich dieses Thema durchaus kontrovers sah.
    Ich beschloss, das Verhör in eine andere Richtung zu lenken, und vertraute ihr an, dass mich die Geschichte mit meinem Vater wahnsinnig machte. Dass ich nicht wusste, wie ich ihn behandeln sollte, wenn ich ihn wiedertreffen sollte. Vielleicht hatte ihn sein Alzheimer in einen wildfremden Mann verwandelt.
    »Wäre es nicht ganz egal, wen sie mir zurückbringen?«, grübelte ich laut. »Wie viele alte Männer gibt es dort draußen, denen ihre Kinder einen Tritt in den Hintern verpasst haben? Einer dieser Väter braucht mich sicher, und ich ihn …«
    »Armer Kerl.« Sie nahm meine Hand. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so fühlst? Willst du darüber reden?«
    Ich küsste sie auf den Mund.
    »Nein«, protestierte sie. »Tu das nicht!«
    Ich bat sie um Entschuldigung.
    Da stürzte sie sich auf mich, küsste mich und biss mir heftig auf die Unterlippe.
    »Luder!«, zischte ich und packte sie am Genick, um sie erneut zu küssen.
    Ich stellte sie auf die Füße und zog sie ins Bad, wo ich mit ihrem Körper die Tür verbarrikadierte. Ich hielt sie an den Ohren fest und vergrub meinen Mund in ihrem Hals, der eine ölige, zitrusartige Essenz ausströmte. Draußen erklang eine Stimme: »Hier kommt der Kaffee für die Mami, die Mami, die … wo ist denn die Mami?«
    Mami und ich machten es schnell und setzten uns danach noch ganz zittrig auf den Boden. Ich mit der Unterhose zwischen den Beinen. Sie mit dem BH unter den Brüsten. Wir wagten es nicht, einander ins Gesicht zu sehen. Meine Augen wanderten zu den Mosaiksteinen und begannen, die Linien der Fugen nachzuzeichnen. Teresa kratzte sich. Es war ein brüskes, forderndes Geräusch.
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es jetzt angebracht wäre, sie zu streicheln, aber ich hatte Angst, sie
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