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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen
Autoren: Sándor Márai
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Gericht den Armen verurteilen müßte. Gott ist vor allem ein Freund. Vom heiligen Franziskus wissen wir, daß dieser ausschließlich der Freund der Armen war.
    Wenn der Arme im Lauf seines Lebens in eine Sackgasse gerät, so ist es wohl am richtigsten, wenn er die Behörden und karitativen Einrichtungen beiseite läßt und sich unmittelbar an ihn wendet. Dies ist der einzige praktische Rat, den wir dem Armen in schwieriger Lebenslage aus tiefster Überzeugung geben können. Gott wird dem Armen auf wundersamen Wegen mit seinen unerforschlichen Mitteln unbedingt helfen. Jedes andere Experiment, mit dem man versuchen wollte, das Schicksal der Armen in dieser Welt zu lösen, erscheint mir schwerfällig, umständlich und ziemlich hoffnungslos.

SCHLUSSWORT
    I ch zweifle nicht daran, daß es mir im Rahmen meiner kleinen Abhandlung nur mangelhaft und unvollkommen gelungen ist, mein vorgestecktes großes Ziel zu erreichen. Meine Kraft ist beschränkt, und ich kenne ihre Grenzen. Wahrscheinlich ist es mir auch nicht gelungen, das Geschmacksniveau der Armen durch die in diesem Buch gegebenen praktischen Ratschläge in erwünschtem Maß zu heben. Darum halte ich es für zweckmäßig – und ich zweifle nicht daran, daß ein aufgeklärteres und zivilisierteres Zeitalter mir auch in der Praxis Genugtuung geben wird –, daß man die Grundelemente meines kleinen Werkes schon in den Mittelschulen, etwa an Stelle des Griechischen oder des Gesangunterrichts, lehrt; dem Armen nämlich nutzt im Leben die griechische Sprache oder das Singen nur sehr wenig, dagegen ist es für ihn von fundamentaler Wichtigkeit, schon in früher Jugend die Grundbegriffe der Armut kennenzulernen.
    Ich würde es begrüßen, die Armut als Pflichtfach in der Schule zu lehren, denn die Natur der Armut, ihre Abarten und Symptome interessieren die Menschheit bestimmt mehr als die Pflanzen- oder Mineralkunde, von der propädeutischen Philosophie gar nicht zu sprechen. Den Armen soll man die Lebenskunst lehren, bevor die Menschheit auf das Niveau der Höhlenbewohner herabsinkt, dessen Vorzeichen wir gerade in unserem Zeitalter häufig und mancherorts wahrnehmen können.
    Mein kleines Werk bemüht sich, selbst in seiner Mangelhaftigkeit diesem Zweck zu dienen; besser Vorbereitete und feinere Stilistiker mögen mir auf dem angebahnten Weg folgen. Für mich persönlich ist es schon eine Genugtuung, wenn es mir gelungen ist, einigen schlecht orientierten Armen meinesgleichen ein paar anspruchslose Ratschläge zu erteilen, und daß es mir vergönnt war, als einfacher Kämpfer mit bescheidenen Mitteln an jenem ebenso gigantischen wie aussichtslosen Krieg teilzunehmen, den in den letzten Tagen unserer Zivilisation die besten Geister der Zeit gegen die nie geahnte Verrohung des guten Geschmacks und der Menschen unternommen haben.
    Wie ich es für unwahrscheinlich halte, daß es je gelingen wird, die große Masse aus dem Zustand der allgemeinen Armut herauszuheben, so habe ich auch wenig Hoffnung für eine durchgehende Verbesserung des Geschmacksniveaus der Menschheit. Meiner Wahrnehmung nach ist die menschliche Einfalt und Duldensfähigkeit ebenso grenzenlos wie die Anhänglichkeit der Massen an Gewohnheiten und Vorurteile.
    Ich halte überhaupt nur den einzelnen zu moralischen Handlungen fähig, jedoch nie die Masse. Auch zum Genuß des Lebens halte ich nur den einzelnen für geeignet, denn ohne den mysteriösen Zauber des Individualismus sind alle Ratschläge und Normen, die die Liebe zum Leben lehren, vollkommen zwecklos. Die modernen Anschauungen über die Gesellschaftsform verneinen das Recht des Individuums zum Leben und verkünden große, allgemeine Lösungen.
    Statt »große und allgemeine« Lösungen zu liefern, gedenkt mein kleines Werk, dem Privatleben zu dienen. Ich bin mir im klaren, daß diese Absicht vom Standpunkt der Kritiker unserer Zeit unmoralisch erscheint; heutzutage gilt jeder für unmoralisch, der eine Privatperson bleiben will und es wagt, seine Stellungnahme zu verteidigen. Unser Zeitalter schleppt jeden auf den Scheiterhaufen, der sich weigert, sein Seelenheil in der Religion der Massen zu suchen; ohne besondere Lust und auch ohne die geringste Sehnsucht nach Märtyrertum wählen wir dennoch lieber den Flammentod, den die Inquisitoren unserer Zeitepoche für den Individualisten bereithalten, als die Kollektive.
    Mein kleines Werk ist für die wenigen übriggebliebenen Privatpersonen bestimmt; darum weiß ich auch, daß es auf keine besonders
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