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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen
Autoren: Sándor Márai
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»Der Herr bleibt auch in der Hölle ein Herr«, den man auch so deuten kann, daß der Arme auch in der Hölle ein Armer bleibt und daß man ihn nicht separat in einem Kessel mit Öl von besonders feiner Qualität schmoren wird, sondern alle Arme, wie Krebse oder Aale, zugleich.
    Obwohl die Armut, ebenso wie der Reichtum, eine überirdische göttliche Schicksalsbestimmung ist, scheint es unwahrscheinlich, daß das Leben im Jenseits zwischen Arm und Reich den gleichen Unterschied machen wird wie hier auf Erden. Die Religion lehrt, daß dem Armen für seine Leiden auf Erden im Paradies eine Entschädigung zuteil wird, wogegen es dem Reichen schwerer fallen wird, ins Paradies zu gelangen, denn einem Kamel, durch ein Nadelöhr zu schlüpfen. Die Reichen haben sich mit dieser Strafe längst abgefunden, und bis auf wenige Ausnahmen versuchen sie es nicht einmal mehr, ins Paradies zu gelangen. Sie begnügen sich mit den wertlosen Freuden des Erdenlebens und überlassen den Armen sozusagen restlos das Paradies. Es ist eigenartig – aber es ist dennoch so.
    Die Religionen lehren ausnahmslos, daß Gott der Freund der Armen sei. Auch mich erfüllte bereits in meiner Jugend dieser tiefe Glaube. Gott ist die einzige Autorität, die der Arme mit Du anreden kann. Einen Vorgesetzten muß man siezen und zum Beispiel mit »Herr Vorstand« anreden. Gott hat keinen Rang. Der Arme spricht ihn unmittelbar in zweiter Person an; zwischen Armen und Gott habe ich eine innige und rührende Intimität im höchsten Grade beobachten können, die den Armen für die etwas unfreundliche Einsamkeit, die ihn zwischen den Menschen umgibt, reichlich entschädigt. Der Arme wendet sich mit all seinen bescheidenen Wünschen an Gott, da es, wie er aus der Erfahrung weiß, sonst niemanden gibt, an den er sich wenden könnte.
    Die Armen beten zu Gott nicht so sehr um ihr Seelenheil, das ihnen die Kirche sowieso verspricht, sondern eher um ein Paar Schuhe oder um eine Kaffeemühle. Mit ihren grotesken Wünschen wenden sie sich, ähnlich wie Kinder, an Gott; sie bestürmen Gott mit frivolen und weltlichen Wünschen, sie bitten ihn um Hufnägel oder warme Unterwäsche und beten lange um eine Bauchbinde. Sie flüchten sich mit jedem kleinen Kummer zu Gott, denn sie wissen, daß er der einzige ist, der sie anhört. Gott ist der persönliche gute Freund eines jeden Armen.
    Der Reiche zündet zur Ehre Gottes eine Wachskerze an, baut Kirchen oder bringt sonst ein Opfer; der Arme, gleich einem kleinen Quälgeist vor Weihnachten, belästigt ihn ununterbrochen mit seinen einfältigen Wünschen. Aus den Worten der Heiligen wissen wir, daß Gott diese Belästigungen gefälliger sind als die Gaben der Reichen.
    Zum bewußten Erkennen der Armut gesellt sich das Geschenk der Freundschaft mit Gott. Je ärmer der Mensch wird, um so intimer gestaltet sich seine Beziehung zu Gott. Solange ich als junger Mensch in der Illusion lebte, dazu auserwählt zu sein, ein Reicher zu werden, wußte ich nichts von Gott. Gleichwie dem Saulus auf dem Weg nach Damaskus offenbarte sich auch mir Gott im entscheidenden Augenblick meines Lebens – ich vernahm Seine Stimme und erkannte Ihn. Dies geschah in Hamburg unter einer Brücke. Jedem Armen offenbart sich Gott einmal. Ein brennender Dornbusch ist dazu nicht notwendig. Der Mensch lebt und weiß nicht mehr von Gott als von einem fernen, mächtigen Herrscher, den man ehren soll, mit dem man aber persönlich nichts zu tun hat. Eines Tages macht er seine Bekanntschaft.
    Diese Begegnung kann in unserem Zeitalter in alltäglicher Form vor sich gehen, in einem Kaffeehaus oder in der Untergrundbahn, denn Gott erscheint an profanen Orten häufiger als in den Kirchen. Sein Erscheinen ist weder von Blitz und Donner noch vom himmlischen Licht oder geistlichen Chor begleitet. Er spricht alle Sprachen ganz einfach und verständlich und bleibt immer bei dem, wovon gerade die Rede ist. Die kindlichen Wünsche der Frauen erhört er mit der gleichen Barmherzigkeit wie die sündigen Begierden der Männer. Es ist nicht wahr, daß Gott nur dem gefällig ist, den man auf Erden als tugendhaft bezeichnet. Jeder Arme weiß aus Erfahrung, daß sehr oft Gott ausgerechnet jenes nicht gefällig ist, was die weltlichen Gesetze in notgedrungener Anpassung an die Verhältnisse des Lebens als Recht verkünden. Gott ist kein Landesgerichtsrat und kennt keine Paragraphen. In den Augen Gottes erscheint nicht jedes Vergehen als eine unbedingte Sünde, für das ein weltliches
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