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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen
Autoren: Sándor Márai
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Rodeln, Golf und Tennis, viel zuviel Geld kostet; vor allem braucht man zur Ausübung dieser Sportarten ein Auto, denn es ist sowohl im Winter wie im Sommer gleich langweilig und erniedrigend, zu den Sportplätzen mit der Tram zu fahren; überdies ist der Sport auch aus ästhetischen Gründen wenig empfehlenswert – man setzt nämlich Fett dabei an.
    Der Verfasser dieser Zeilen hat festgestellt, daß er jedesmal, wenn er die seltene Gelegenheit hatte, sich sportlich zu betätigen, an Gewicht zunahm; nach einer Ruderfahrt auf der Donau von der Margaretenbrücke bis Altofen erhöhte sich sein Körpergewicht, genau nachgeprüft, um 800   Gramm. Den Sport können wir also getrost von der Liste der billigen und praktischen Passionen streichen.
    Als billige Zerstreuung empfehle ich vornehmen Armen dagegen, wöchentlich einen Rasierruhetag einzuschalten; vor dem Essen zwei Stunden zu schlafen; Radio nur während der Hörpausen einzustellen; beim Läuten des Telephons den Hörer abzunehmen und, was immer der Anrufende auch sagt, nicht zu antworten; dies ist zu wiederholen, wenn sich die Person in der Annahme einer falschen Verbindung noch einmal meldet; einem Touristenverein als Mitglied beizutreten und an den Tagen der Gemeinschaftsausflüge zu Hause zu bleiben, das Zimmer zu verdunkeln, die Schuhe auszuziehen, den Kragen abzunehmen und vollkommen entspannt bis abends einen guten englischen Roman zu lesen.
    Weiter empfehle ich einen Besuch des landwirtschaftlichen Museums und des Landesarchivs; als Provinzler maskiert eine Wanderung durch die Stadt, andächtige Bewunderung der Denkmäler; Erkundigungen einholen beim Verkehrspolizisten an der Kreuzung der Rákoczystraße und der Großen Ringstraße, wo die Mokusgasse in Altofen liegt und wie man schnellstens hingelangt; einen Aufsichtsbeamten des Kriegshistorischen Museums bei Schneeschmelze herausrufen und sich die auf der Bastei aufgestellten historischen Geschütze erklären lassen; in der Maske eines »dankbaren früheren Schülers« Besuch bei alten Lehrern abstatten; heiße Liebesbriefe an abgetakelte Operettenprimadonnen schreiben, gezeichnet mit »Universitätsstudent«; mit der Unterschrift »ein Wähler« begeisterte und gerührte Briefe an korrumpierte und bestechliche Abgeordnete richten; gut angezogen einen Spaziergang im Regen machen; an einem schönen sonnigen Tag, als Steuerzahler getarnt, den Leiter der städtischen Abwasseranlagen besuchen und fordern, daß er persönlich das Kanalisationssystem von Budapest zeigen und den Gast unterirdisch führen müsse.
    Dies sind die billigen, praktischeren und vornehmeren Zerstreuungen, die, neben Alkohol, im Rahmen unserer Zivilisation dem Armen zur Verfügung stehen. Die Armen vermögen, auch ohne Geld, sich mit sehr primitiven Spielereien die Zeit zu vertreiben.
    Auf einer Reise in Mittelfrankreich, im Abteil eines Zuges zwischen Lavardin und Chartres, beobachtete ich ein Ehepaar mit seinem Kindchen. Der liebevolle Vater unterhielt seinen greinenden Sprößling: Er zog seine Schuhe aus und ließ das Kind mit seinem Fuß spielen. Das Armenkind unterhielt sich stundenlang mit dem Fuß des Vaters, denn die Phantasie der Armut kennt wahrlich keine Grenzen, und ich muß gestehen, daß mich, während ich diese reizende Szene beobachtete, tiefste Rührung und Trauer ergriff.

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    O hne Geld können wir aus dem Leben nur ein Kunstwerk in Form von Kleinplastik schaffen. Selbst dann ist es nicht leicht. Unter Kleinplastik verstehen wir jene intime künstlerische Ausdrucksform, durch die der Künstler seine visionäre Auffassung von der Welt mit vollkommener Durchdringung und Reproduktion irgendeines Details ausdrückt. Wir müssen uns mit »einem Teil statt des Ganzen« zufriedengeben, denn das »Ganze« gehört nur wenigen.
    Was verstehen wir eigentlich unter diesem »Ganzen«? Bewegungsfreiheit, unbeschränkte Möglichkeiten, die Welt zu sehen und alles zu haben, was man sich mit Geld aneignen kann. Wie wir im Anfangskapitel unseres Werkes gesehen haben, ist dies noch lange nicht alles; unkultivierte Reiche jedoch begnügen sich auch mit der käuflichen Welt. Der Arme, der mit den Lehren des »Sacrum commercium« nicht ganz einverstanden ist, welches die erhabene Lehre verkündet, daß »die heilige Armut hoch über allen Tugenden steht und mit ihrem unvergänglichen Zauber alle übertrifft, da sie die Grundlage und Hüterin sämtlicher Tugenden ist« (siehe: »Le mistiche nozze di fra Francesco con Madonna Povertà«) –
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