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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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wählen. Aber in dieser Gruppe konnte er seinen Groll loswerden, denn auch die anderen trugen Aggressionen in sich. Man übte sich nachts im Wald im Schießen, man fantasierte darüber, wie es wäre, die Macht zu übernehmen, was man mit den Linken tun würde, mit den Ausländern, mit den Juden. Manchmal prügelte man sich mit Punks.
    Als Markus mit Mitte 20 seine Stelle verlor, weil das Geschäft, ein kleiner Laden in einem Dorf, geschlossen wurde, beschloss er, auf der Karriereleiter eine Stufe hinaufzuklettern, und heuerte in einem großen coolen Laden in der Stadt an, bei Landolt im Seefeld. Ein hektischer Betrieb mit zehn Angestellten. Markus hatte gedacht, es falle nicht auf, wenn er ab und zu etwas mitlaufen ließ oder einen Artikel, den er verkaufte, nicht in die Kasse eintippte. Es wurde aber doch bemerkt. Er verlor wieder den Job, wurde fristlos gekündigt. Er konnte von Glück reden, dass sein Chef auf eine Anzeige verzichtete. Aber er bekam natürlich kein Zeugnis von jenem Arbeitgeber, bei dem er immerhin ein Jahr gewesen war, und es durfte nicht bekannt werden, dass er je dort gearbeitet hatte. Deshalb erfand Stüssi für Bewerbungen die Legende von der Weltreise auf dem Velo. Dieser Beweis von Kreativität hatte Streiff verwundert. Aber Stüssi war es ans Lebendige gegangen, das hatte Energie freigesetzt. Dass er nichts Konkretes von seiner Reise erzählte, fiel nicht auf, er redete ja sowieso nicht viel. Da es mit der Stellensuche trotzdem nicht klappte, machte er selbst eine kleine Bude auf. Innerhalb von zwei Jahren ging er in Konkurs. Mit hohen Schulden. Statt endlich Erfolg zu haben, hatte er die Karre gründlich in den Dreck gefahren. Er musste sich wieder eine Stelle suchen. Und fand sie ausgerechnet im FahrGut bei Valerie Gut. Eine Frau als Chefin. Die Erfolg hatte. Und wie. Die Bude des Vaters von einem kleinen Quartierladen in wenigen Jahren zum stadtbekannten, angesagtesten Geschäft aufgebaut. Sie hatte es geschafft. Er nicht. Er begann, bei ihr zu arbeiten, es blieb ihm nichts anderes übrig. Er hasste den Laden, er hasste Valerie, die ihm jeden Tag sein eigenes Versagen vorführte, so kam es ihm vor. Sie zahlte einen guten Lohn, mehr als der Branchendurchschnitt. Er nahm ihr sogar das übel. Er arbeitete und er hielt den Mund. Bezahlte seine Schulden ab. Dann hatte er eine Idee. Er bot einem Kollegen, der in einer Landgemeinde ein kleines Geschäft führte, an, er könne ihm günstiges Zubehör beschaffen. Der Mann, der mit seiner Bude ständig am Existenzminimum herumkrebste, nahm an. Markus besorgte die Ware nachts im FahrGut und polierte so seine Einnahmen wie auch sein Selbstwertgefühl etwas auf. Am folgenden Abend ›entdeckte‹ er beim Diebstahlcheck das Fehlen der Sachen. So weit recht schlau, gestand ihm Streiff zu. Jedenfalls unter der Voraussetzung, dass kein Verdacht auf ihn fiel. Und Valerie hatte in der Tat ihre beiden Angestellten nie verdächtigt.
     

2. Teil
    Markus Stüssi saß in seiner Zelle. Er fühlte sich ausgebrannt. Da war keine Wut, keine Angst. Keine Gedanken an die Zukunft. Er hatte nie in seinem Leben so viel geredet wie in den letzten anderthalb Tagen. Und er hatte einen aufmerksamen Zuhörer gehabt. Dass er ihm letztlich aus beruflichen Gründen zugehört hatte und ›alles, was er gesagt hatte, gegen ihn verwenden konnte‹ – Markus kannte die Formel aus den Fernsehkrimis –, war ihm egal gewesen. Es kam ja ohnehin nicht mehr darauf an, er war dran wegen des Mordes an Hugo. Aber es war nicht nur das. Sibel hatte ihn verraten.
    Er hatte sie in einer Bar, in der er ab und zu ein Bier trank, kennengelernt. Sibel war hübsch, zart, ernsthaft. Sie gefiel ihm. Und sie übersah ihn nicht, im Gegenteil, sie hatte ihn angeschaut. Sie lachte auch nicht über ihn. Sie war zwar Ausländerin, aber von der Rechtsextremengruppe hatte sich Markus schon vor einiger Zeit abgesetzt. Sibel ging es noch schlechter als Markus. Sie war arbeitslos, ohne Wohnung, hatte vorübergehend bei einer Cousine Unterschlupf gefunden. Plötzlich stand er gar nicht so schlecht da: eine Wohnung, wenn auch in einem unrenovierten Altbau, ein Job, wenn auch auch kein prestigeträchtiger. Ein paar Nebeneinnahmen. Dass er mit dem eigenen Geschäft pleitegegangen war und Schulden abbezahlte, brauchte Sibel ja nicht zu wissen. Sie zog zu ihm, fand kleine Putzjobs, erledigte für ihn den Haushalt. Es war, wie es sein sollte: eine Frau, die sich um ihn kümmerte. Das Essen stand auf dem Tisch,
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