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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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Pause, »erpressbar.«
    Stüssi zuckte zusammen.
    »Sind Sie unter Druck gesetzt worden, Herr Stüssi?«
    Schweigen.
    »Sind Sie von Hugo Tschudi erpresst worden?«
    Stüssi schaute Streiff entsetzt an.
    »Sie haben heute Ihren Mitarbeiter Luís Zafar mit einem Messer bedroht. Das ist ein schweres Delikt.«
    Die Verwirrungstaktik wirkte. Streiff sah, Stüssi konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er war gefangen in diesem undurchschaubaren Netz von unterschiedlichsten Vorwürfen, Anspielungen, Anschuldigungen. Jetzt zum Großangriff.
    »Wo waren Sie am Mittwochabend vor zwei Wochen?«
    Stüssi blickte nicht mehr durch.
    Streiff nickte ungeduldig. »Ja, ja, Sie vermuten schon richtig, der Abend, an dem Hugo Tschudi umgebracht wurde.«
    »Das habe ich doch schon gesagt«, wehrte sich Stüssi, der wieder etwas selbstbewusster wurde. »Zu Hause. Mit meiner Freundin. Das hat sie bezeugt.«
    »Sie hat es widerrufen«, erklärte Streiff leise und schaute dem Verdächtigen ins Gesicht. »Gerade eben. Sie sagt, Sie wären an jenem Abend weg gewesen. Zur Tatzeit.«
    Stüssi wurde schwindlig. Sibel. Die Tatzeit. Das Video. Das Geld. Bevor er irgendetwas sortieren konnte, setzte Streiff noch eins darauf: »Haben Sie Hugo Tschudi umgebracht, weil er Sie erpresst hat? Weil Sie einer Neonazi-Gruppe angehörten? Weil Sie Waren klauten? Weil Sie die 4.000 Franken gestohlen hatten? Haben Sie ihm das Geld abgeliefert?« Bevor Stüssi nur den Mund aufbekam, legte er nach: »Oder haben Sie Tschudi umgebracht, weil er vor vier Jahren Ihre Freundin erpresst hat?« Sehr kurze Pause. »Was haben Sie mit dem Laptop gemacht? Wie sind Sie an den Computer herangekommen? Wie kam eine Haarklammer von Frau Zweifel ins Büro von FahrGut?«
    Markus Stüssi war am Ende seiner Kräfte. »Hat Sibel mich verraten?«, fragte er langsam und ungläubig. Vor allem anderen war es dieser Gedanke, der im ganzen Chaos in seinem Bewusstsein angekommen war. Wut stieg in ihm hoch.
     
    *
     
    Streiff dachte zwei Stunden zurück. Er war damit beschäftigt gewesen, den ersten provisorischen Bericht über die Hausdurchsuchung bei Stüssi anzuschauen. Da war ihm gemeldet worden, dass Sibel Evren ihn sprechen wollte. Sie war hereingekommen, blass, mager, müde, aber dennoch sehr bestimmt. Und hatte das Alibi zurückgenommen, das sie ihrem Freund für den Mordabend gegeben hatte.
    »Ich wollte mich schützen«, hatte sie erklärt und hatte hastig hinzugefügt. »Angst, dass ich verdächtig, weil Hugo mich vor vier Jahren erpresst. Und ich verlor Arbeit und Freund. Sie können denken, dass ich mich wollte rächen. Ich war sicher, dass Markus nicht zu tun damit. Also ich dachte, es schadet nicht. Aber heute, heute er hat diesem Jungen Messer an den Hals halten. Ich wusste nicht, dass Markus so etwas tun kann. Mich wollte er beschützen, hat mir Job beschafft. Mir geholfen.«
    Streiff hatte ihre Aussage aufgenommen. »Und wo waren Sie an jenem Abend?«, hatte er gefragt. Sie hatte die Schultern gezuckt.
    »Immer zu Hause. Aber ich weiß, ich kann nicht beweisen, weil Markus fort war. Ich jetzt wieder verdächtig. Aber besser so als lügen und immer mehr lügen und verstecken und nicht wissen, wo es hinführt.«
    Die Frau war intelligent. Im Gegensatz zu ihrem Freund. Und sie hatte Mut. Streiff glaubte ihr.
    »Bin ich jetzt verhaftet?«, hatte sie gefragt. Streiff hatte den Kopf geschüttelt.
    »Sie können gehen, aber halten Sie sich zur Verfügung. Wir werden sicher nochmals mit Ihnen sprechen müssen.«
    Sie war schon fast aus der Tür gewesen, da hatte Streiffs Stimme sie aufgehalten: »Haben Sie Ihrem Freund die Geschichte von Tschudis Erpressungsversuch erzählt?«
    Sibel hatte sich langsam umgedreht.
    »Ja«, hatte sie geantwortet.
    »Und wie hat er reagiert?«
    »Er hat nichts gesagt«, hatte sie erwidert. Dann war sie aus der Tür.
     
    *
     
    »Ja«, nickte er jetzt auf Stüssis Frage, »Sibel hat die Wahrheit gesagt. Weil sie begriffen hat, dass Lügen nichts bringt. Sie ist mutig, Ihre Freundin. Sie hat Rückgrat. Im Gegensatz zu Ihnen.« Die Provokation war gezielt eingesetzt. Und sie wirkte.
    »Sie war nichts ohne mich!«, brach es aus dem vierschrötigen Mann heraus. »Sie hatte keinen Job, keine Wohnung. Ich habe sie zu mir genommen, ihr geholfen. Obwohl sie eine Türkin ist. Ein Nichts! Und jetzt verarscht sie mich. Wie alle. Ich bin immer schon verarscht worden. Von allen. Von Tschudi. Von dieser alten Schrulle. Aber diesmal hat sie mich nicht
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