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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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den Schultern gepackt.
    »Was tust du, was hast du getan?«, schrie sie ihn an. Er sagte nichts. »Bei was ich habe dich geholfen?«, fragte sie leise. »Hast du mich anlügen?«
    Streiff schob sie sanft weg. Der Verhaftete wurde hinausgeführt. Der Kriminalbeamte wandte sich Valerie zu. »Ich lasse von mir hören.«
    Im nächsten Moment war auch er weg und Valerie war plötzlich allein mit einem ziemlich zittrigen Luís und einer jungen Frau, der die Tränen über die Wangen liefen. Sie schloss die Ladentür ab, es war sowieso gleich Mittag, ging mit den beiden in ihr Büro und setzte Kaffee auf.
    Luís saß auf dem kleinen Sofa und schüttelte den Kopf. »Was mit Markus los?«, fragte er. »Spinnt plötzlich? Und warum Polizei da?« Allmählich wurde ihm klar, was abgelaufen war. »Markus gestohlen? Oder«, er brach ab und schaute Valerie erschrocken und verwirrt an, »er Hugo tötet?«
    Valerie tat Luís leid. Natürlich, der Kleine wusste nicht viel über die Hintergründe all der Vorfälle der letzten Zeit. Sie hatte ihn da raushalten wollen und ihm nur das Nötigste erklärt. Und sein Deutsch reichte nicht aus, um sich aus aufgeschnappten schweizerdeutschen Bemerkungen etwas Sinnvolles zusammenzureimen. Valerie erklärte ihm, dass Markus die 4.000 Franken gestohlen hatte, die in der Kasse fehlten. Er atmete hörbar aus.
    »Er damals gesagt, ich habe Geld nehmen«, erinnerte er sich empört. »Und jetzt …«
    Valerie entschuldigte sich bei ihm: »Es ist mir vorhin nicht in den Sinn gekommen, dass ich dich vor ihm schützen müsste.«
    Luís grinste schon wieder ein bisschen. Jetzt war er ja in Sicherheit und irgendwie, ging ihm auf, war das eine außerordentlich interessante Situation, in die er da geraten war. So etwas kannte er bisher nur aus Fernsehkrimis.
    »Der mich voll in Gewalt«, führte er aus. »Messer ganz nah am Hals. Du gesehen? Aber ich ganz ruhig. Sonst jetzt vielleicht tot.«
    Valerie wurde es abermals elend zumute.
    Seine Kollegen würden beeindruckt sein. Er, Luís, der immer der Kleine war, quasi Hauptdarsteller in einem richtigen Krimi. Auf der komfortablen Basis seines Opferstatus versuchte er, mit seiner Chefin die Erlaubnis für einen Lokalfernsehtermin auszuhandeln.
    »Warts ab«, bat Valerie müde. »Ich werde erst deine Eltern anrufen und sie darüber informieren, was geschehen ist. Und wir wissen ja noch gar nicht genau, was Markus wirklich getan hat.«
    Von Markus’ Ladendiebstahl, der auf dem Video festgehalten war, wussten Sibel und Luís nun. Von dem kleinen Gegenstand, den sie heute Morgen auf dem Boden ihres Büros gefunden hatte, noch nicht.
    »Was?«, empörte sich Luís. »Er mich gewürgt mit Arm und bedroht mit Messer.«
    »Ich habs gesehen, Luís«, fast stiegen nun auch Valerie Tränen in die Augen, »ich bin verdammt froh, dass dir nichts passiert ist. Ich mag jetzt einfach nicht daran denken, wie das alles in den Medien verbraten wird. Ja, sicher, du darfst es den Journalisten erzählen, wenn deine Eltern einverstanden sind. Aber melde dich nicht selbst. Warte, bis die Polizei die Pressemitteilung herausgibt. Dann werden sie von sich hören lassen, du wirst sehen.« Sie gab ihm für den Rest des Tages frei.
    Sibel hingegen blieb still. Valerie mochte sie nicht mit Fragen bedrängen. Die Türkin nahm wieder das Putzzeug zur Hand.
    »Sibel, du brauchst doch heute nicht mehr …«, begann Valerie. Aber sie war schon auf dem Weg in Richtung Kleiderecke. Hatte sie ihrem Freund tatsächlich nicht erzählt, dass Hugo einmal versucht hatte, sie zu erpressen?, fragte sich Valerie, als sie schweren Herzens hinaufging. Sie verbot sich strikt weitere Fragen. Wenn sie nur eine zuließe, würden sie unzählige weitere wie eine Lawine überrollen, sodass sie es nicht aushalten würde, hierzubleiben und weiterzumachen. Sie ging mit Seppli auf einen Spaziergang. Etwas essen mochte sie nicht. Um 13.30 Uhr schloss sie die Ladentür auf.
    Nach einer Viertelstunde kam Sibel hinauf. Sie war schon umgezogen, hatte die Jacke an und ihre Tasche über der Schulter.
    »Ich muss weg«, sagte sie.
    Valerie nickte. »Ist schon in Ordnung.«
    Sibel zögerte, dann erklärte sie: »Ich muss eine Aussage bei der Polizei machen.«

3. Teil
    Die Tür ging auf und Markus Stüssi wurde hereingeführt. Die beiden Beamten nahmen ihm die Handschellen ab und verließen den Raum. Es war später Nachmittag. Stüssi hatte einige Stunden in einer Zelle verbracht. Er trug noch immer seinen dunkelgrünen
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