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Die Mondscheinbaeckerin

Die Mondscheinbaeckerin

Titel: Die Mondscheinbaeckerin
Autoren: Sarah Addison Allen
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EINS
    E mily hob den Blick von dem Glücksarmband, das sie langsam am Handgelenk hin und her gedreht hatte, und schaute zum Wagenfenster hinaus. Die beiden riesigen Eichen vor dem Haus sahen aus wie zwei aufgeregte, mitten im Knicks erstarrte Damen, deren gestärkte grüne Laubkleider sich im Wind bewegten.
    Â»Sind wir da?«, fragte sie den Taxifahrer.
    Â»Ja, Shelby Road Nummer sechs, Mullaby.«
    Emily zahlte und stieg aus. In der Luft hing der süßliche Geruch von Tomaten und Hickoryrauch. Sie leckte sich unwillkürlich die Lippen. Obwohl es bereits dämmerte, waren die Straßenlaternen noch nicht eingeschaltet. Emily staunte, wie ruhig es war. Plötzlich wurde ihr ein wenig schwindlig. Keine Straßengeräusche. Keine spielenden Kinder. Keine Musik, kein Fernsehen. Fast hatte sie das Gefühl, aus der Welt gefallen zu sein, weitab von jeglicher Zivilisation.
    Während der Taxifahrer ihre beiden bis zum Bersten vollen Matchbeutel aus dem Kofferraum hievte, sah sie sich um. In der Straße standen große alte Häuser; die meisten hätten mit ihren aufwendigen Zierleisten und hübsch gestrichenen Veranden gut in einen altmodischen Film über die Südstaaten gepasst.
    Der Fahrer stellte die Matchsäcke auf dem Gehsteig neben ihr ab, nickte, setzte sich wieder hinters Steuer und fuhr weg.
    Emily blickte ihm nach, strich eine Strähne, die sich aus ihrem kurzen Pferdeschwanz gelöst hatte, zurück, packte die Griffe ihrer Matchbeutel und zog sie unter das dunkle, kühle Blätterdach der großen Bäume. Als sie auf der anderen Seite darunter hervortrat, blieb sie, verwundert über den Anblick, der sich ihr bot, stehen.
    Dieses Haus unterschied sich deutlich von den anderen im Viertel.
    Früher einmal vermutlich strahlend weiß, war es jetzt grau, und seine neugotischen Spitzbogenfenster wirkten verstaubt und trüb. Es verheimlichte sein Alter nicht. Davon zeugten die abblätternde Farbe und die heruntergefallenen Dachschindeln. Im Erdgeschoss befand sich eine große Veranda, deren Dach als Balkon für den ersten Stock diente, beide bedeckt von altem, sprödem Eichenlaub. Wenn nicht der schmale, durch Menschenschritte geschaffene Weg in der Mitte der Stufen gewesen wäre, hätte man das Haus für unbewohnt halten können.
    Hier war ihre Mutter aufgewachsen?
    Als Emilys Arme zu zittern begannen, redete sie sich ein, dass das am Gewicht ihres Gepäcks lag. Sie stieg die Verandastufen hinauf und schleifte mit den Matchsäcken eine ganze Menge trockene Blätter mit. Oben stellte sie die Beutel ab, ging zur Tür und klopfte.
    Keine Reaktion.
    Sie versuchte es noch einmal.
    Nichts.
    Wieder strich sie eine Haarsträhne zurück und sah sich um, bevor sie die rostige Fliegenschutztür öffnete und »Hallo?« ins Haus rief. Es klang hohl.
    Keine Reaktion.
    Emily trat zögernd ein. Es brannte kein Licht, doch durch die Fenster im Esszimmer zu ihrer Linken drangen die letzten Strahlen der Sonne. Die Möbel darin waren dunkel und reich verziert; sie erschienen ihr unglaublich groß, wie für einen Riesen gemacht. Rechts von ihr lag ein weiterer Raum mit einer Falttür. Direkt vor ihr befand sich ein Flur, der zur Küche führte, und dahinter entdeckte sie eine breite Treppe in den ersten Stock. Sie trat an den Fuß der Treppe und rief hinauf: »Hallo?«
    In dem Moment wurde die Falttür aufgerissen, und Emily wich vor Schreck zurück. Ein älterer Mann mit silbergrauem Haar, der sich unter dem Bogen durchducken musste, um nicht mit dem Kopf anzustoßen, kam heraus. Er war riesengroß und schritt steif dahin wie auf Stelzen. Ein wenig erinnerte er an eine Fehlkonstruktion, an einen Wolkenkratzer aus weichem Holz, der jeden Moment einknicken konnte.
    Â»Endlich bist du da. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
    Sie erkannte seine wohltönende Südstaatlerstimme von ihrem ersten und einzigen Telefonat eine Woche zuvor, doch sein Aussehen überraschte sie.
    Emily blickte zu ihm auf. »Vance Shelby?«
    Er nickte. Vance machte den Eindruck, als hätte er Angst vor ihr. Es wunderte sie, dass ein so großer Mensch sich vor irgendetwas fürchten konnte, und sie ertappte sich dabei, wie sie anfing, sich bedächtig zu bewegen, um ihn nicht zu erschrecken.
    Sie streckte ihm vorsichtig die Hand hin. »Hallo, ich bin Emily.«
    Er lächelte, dann verwandelte sich sein Lächeln in ein
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