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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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Kaffee?«
    Es läutete. Erich runzelte die Stirn. Jenny biß sich auf die Lippen. »Das ist wahrscheinlich Fran, meine Nachbarin von oben. Sie hat im Moment gerade keinen Freund und besucht mich alle paar Abende.«
    Aber es war Kevin. Er stand in der Tür, ein großer, gutaussehender Junge mit einem teuren Skipullover und einem langen, lässig über die Schultern geworfenen Schal, die braunroten Haare sorgfältig frisiert, das Gesicht gleichmäßig gebräunt.
    »Komm doch rein, Kevin«, sagte sie und gab sich Mühe, nicht ärgerlich zu klingen. Instinkt für den richtigen Zeitpunkt, dachte sie. Bei Gott, den hat er wirklich.
    Er schritt ins Zimmer, gab ihr einen schnellen Kuß. Sie war plötzlich befangen, denn sie wußte, daß Erichs Blick auf ihnen ruhte.
    »Die Kinder schon im Bett, Jen?« fragte Kevin.
    »Schade. Ich hätte sie gern gesehen. Oh, du hast Besuch.«
    Seine Stimme änderte sich, wurde höflich, fast britisch.
    Der unverbesserliche Schauspieler, dachte Jenny. Eine Boulevardkomödie — der Ex-Mann trifft den neuen Freund seiner Ex-Frau. Sie machte die beiden miteinander bekannt, und sie nickten sich zu, ohne zu lächeln.
    Kevin beschloß offenbar, die Atmosphäre zu entspannen. »Riecht lecker bei dir, Jen. Was hast du gekocht?« Er inspizierte die Herdplatte. »Mein Gott, was für ein toller Hackbraten.« Er probierte ihn.
    »Ausgezeichnet. Warum hab’ ich dich bloß gehen lassen?«
    »Ein schrecklicher Fehler«, sagte Erich mit eisiger Stimme.
    »Das war es«, stimmte Kevin aufgekratzt zu. »Nun, ich will nicht länger stören. Ich wollte nur kurz vorbeischauen, da ich sowieso in der Gegend war. Oh, Jen, könnte ich dich kurz draußen sprechen?«
    Sie wußte genau, warum er sie sprechen wollte. Es war Zahltag. Sie hoffte, daß Erich nicht bemerkte, wie sie sich die Handtasche unter den Arm schob, bevor sie ihm in die Diele folgte. »Kevin, ich habe wirklich keine…«
    »Jen, es ist nur, weil ich Weihnachten zuviel für dich und die Kinder ausgegeben habe. Meine Miete ist fällig, und der Hauswirt wird langsam fies. Leih mir bitte dreißig Dollar für eine Woche oder so.«
    »Dreißig Dollar!Kevin , es geht nicht.«
    »Jen, ich brauche es.«
    Widerwillig holte sie ihr Portemonnaie heraus. »Kevin, wir müssen miteinander reden. Ich glaube, ich bin dabei, meinen Job zu verlieren.«
    Er griff hastig nach den Scheinen, steckte sie in die Tasche und wandte sich zur Haustür. »Der alte Onkel läßt dich bestimmt nicht ziehen, Jen. Er weiß, was Qualität ist. Dreh einfach den Spieß um und verlang Gehaltserhöhung. Er wird nie jemand anderen für das bekommen, was er dir zahlt. Du wirst schon sehen!«
    Sie ging in die Wohnung zurück. Erich räumte den Tisch ab und ließ Wasser ins Spülbecken laufen. Er nahm die Kasserolle mit dem restlichen Hackbraten und ging damit zum Mülleimer.
    »He, warten Sie«, protestierte Jenny. »Das können die Kinder morgen abend essen.«
    Er warf die Reste trotzdem in den Eimer. »Nicht, nachdem Ihr Ehemaliger es angefaßt hat!« erklärte er bestimmt und sah sie an.
    »Wieviel haben Sie ihm gegeben?«
    »Dreißig Dollar. Er wird es zurückzahlen.«
    »Sie meinen, Sie erlauben, daß er hier hereinspaziert, Sie küßt, dumme Witze darüber reißt, daß er Sie sitzengelassen hat, Sie anpumpt und mit Ihrem Geld zu irgendeiner Bar läuft?«
    »Er ist mit der Miete im Rückstand.«
    »Machen Sie sich doch nichts vor, Jenny. Wie oft zieht er diese Nummer ab? Ich nehme an, jedesmal, wenn Sie Gehalt bekommen.«
    Jenny lächelte müde. »Nein, letzten Monat hat er einen Zahltag ausgelassen. Hören Sie, Erich, lassen Sie das Geschirr bitte stehen. Das mache ich selbst.«
    »Sie haben sowieso schon zuviel Arbeit.«
    Schweigend nahm Jenny ein Geschirrtuch. Warum hatte Kevin sich ausgerechnet diesen Abend ausgesucht?
    Was für eine dumme Gans sie war, ihm dauernd Geld zu geben!
    Der mißbilligende Ausdruck schwand allmählich aus Erichs Gesicht, und er lächelte sie an und nahm ihr das Tuch ab. »Reden wir von etwas anderem«, sagte er.
    Er schenkte Wein in saubere Gläser und brachte sie zum Sofa. Sie setzte sich neben ihn und merkte ihm eine unbestimmte, aber starke Spannung an. Sie versuchte, ihre Gefühle zu analysieren, konnte es aber nicht. Erich würde schon morgen früh nach Minnesota zurückfliegen.
    Morgen abend um diese Zeit saß sie dann wieder alleine hier. Sie dachte an das glückliche Gesicht der Kinder, als Erich ihnen vorgelesen hatte, an die Erlösung, die sie
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