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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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Beutel mitgebracht.

    »Möchten Sie nähen, Jenny?«
    »Nein, ich kann nicht.«
    »Mir hilft es. Wir machen nämlich Bettdecken für die Mädchen«, erklärte Rooney, zu Mark gewandt. »Man findet sie bestimmt.«
    »Rooney, bitte!« Clyde versuchte, sie zum Schweigen zu bringen.
    »Man wird sie finden. Sehen Sie, wie schön und fröhlich die Farben sind. Keine düsteren Töne in meinen Decken. Da, jetzt kommt es.«
    Sie sahen wie gebannt auf den Bildschirm, als die Sprecherin begann: »Eine Fälschung, die gestern die Kunstwelt erschütterte, erwies sich als Vorspiel zu einem weit größeren Drama. Erich Krueger — « Ein Bild von Erich. Es war dasselbe wie auf dem Umschlag des New Yorker Ausstellungskatalogs: sein bronzegoldenes, dichtgelocktes Haar, seine tiefblauen Augen, das nur angedeutete Lächeln. Sie zeigten Filme von der Farm, eine Aufnahme der Leiche, die gerade fortgebracht wurde.
    Jetzt lächelten Tina und Beth vom Bildschirm. »Und diese beiden kleinen Mädchen sind heute morgen immer noch nicht gefunden worden«, berichtete Jane Pauley.
    »Kurz vor seinem Tod sagte Erich Krueger zu seiner Frau, ihre Kinder seien noch am Leben. Aber die Polizei bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Worte. Das letzte Bild, das Krueger gemalt hat, scheint zu besagen, daß Tina und Beth bereits tot sind.«
    Das Gemälde füllte den Bildschirm aus. Jenny sah auf die schlafenden Puppengestalten, ihr eigenes gequältes Gesicht, ihren starren Blick, Erich, der sie durch das Fenster beobachtete und lachte, während er den Vorhang zur Seite hielt.

    Mark sprang auf, um den Apparat abzustellen. »Ich habe Gunderson gesagt, er soll ihnen auf keinen Fall erlauben, in der Hütte zu fotografieren.«
    Rooney war ebenfalls aufgesprungen. »Ihr hättet mir das Bild zeigen sollen!« rief sie mit sich überschlagender Stimme. »Warum habt ihr es mir nicht gezeigt? Versteht ihr denn nicht, die Vorhänge… die dunkelblauen Vorhänge!«
    Die Vorhänge! Das war es, was sich in Jennys Unterbewußtsein gefressen hatte. Rooney schüttelte die Stoffreste auf den Tisch, darunter die dunkelblaue Baumwolle mit dem dezenten eingewebten Muster, das auch auf den Vorhängen auf dem Bild zu erkennen war.
    »Rooney, wohin hat er sie gebracht?« Sie schrie außer sich auf Rooney ein. Wohin?
    Rooney war sich ihres kostbaren Wissens bewußt, zupfte Mark am Ärmel, sagte aufgeregt: »Mark, Sie müssen es wissen. Die Fischerhütte von Ihrem Vater, am See. Erich ist früher immer mit Ihnen hingefahren. Sie hatten im Gästezimmer keine Vorhänge. Er sagte, es sei morgens zu hell. Ich habe ihm diese da vor acht Jahren gegeben.«
    »Mark, könnten sie dort sein?« rief Jenny.
    »Möglich wäre es. Dad und ich sind seit über einem Jahr nicht mehr dagewesen. Vielleicht hatte Erich von früher noch einen Schlüssel…«
    »Wo ist die Fischerhütte?«
    »Sie ist… in der Nähe von Duluth. Auf einer kleinen Insel. Es wäre logisch. Es ist nur…«
    »Nur was?« Sie hörte, wie der Schnee mit einem leisen, dumpfen Ton an die Fenster klatschte.
    »Es gibt keine Zentralheizung.«
    Clyde sprach die Befürchtung aus, die sie alle bewegte.

    »Sie meinen, dieser Platz hat keine Heizung, und die Kinder sind jetzt womöglich allein dort?«
    Mark rannte zum Telefon.
    Eine halbe Stunde später rief der Polizeichef von Hathaway Island zurück.
    »Wir haben sie.«
    Vor Angst starr, hörte Jenny, wie Mark fragte: »Geht es ihnen gut?«
    Sie riß ihm den Hörer aus der Hand, um die Antwort zu hören.
    »Ja, aber mal gerade. Krueger hatte gedroht, sie zu bestrafen, wenn sie je versuchten, die Hütte zu verlassen.
    Aber er war so lange fort und es wurde so kalt, daß sich das ältere Mädchen darüber hinwegsetzte. Sie schaffte es, die Tür aufzubekommen. Sie waren gerade hinausgegangen, um ihre Mutter zu suchen, als wir sie fanden. Bei diesem Blizzard hätten sie keine halbe Stunde überlebt. Moment, ich geb’ sie Ihnen.« Jenny hörte, wie das Telefon ein Stück weitergeschoben wurde, und dann riefen zwei dünne Stimmen: »Hallo, Mami!«
    Mark hielt sie fest, als sie schluchzend sagte: »Maus, Tinker Bell. Ich hab’ euch lieb. Ich hab’ euch so lieb.«
39
    Der April vertrieb triumphierend den Winter aus Minnesota. Die Bäume waren von einem kaum wahrnehmbaren rötlichen Schleier umgeben, als sich winzige Knospen bildeten und darauf warteten, zu Blüten aufzubrechen. Rehe kamen aus dem Wald, Fasane stolzierten über die Feldwege, die Rinder zogen über die Weiden, der Boden
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