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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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jenem ersten Abend, nur daß sie diesmal eine Handvoll Fichtennadelbadesalz in die Wanne streute. Der feine Duft verbreitete sich im Badezimmer. Sie ließ ihr Haar auf dem Wasser schwimmen, damit es den Geruch ebenfalls aufnahm. Sie wusch das grüne Nachthemd jeden Morgen aus. Sie zog es jetzt wieder an, legte ein Stück Fichtennadelseife unter das Kopfkissen und sah sich im Zimmer um. Nichts durfte am falschen Platz sein, nichts durfte Erichs Ordnungssinn beleidigen. Die Schranktüren waren geschlossen. Sie schob die Bürste der silbernen Toilettengarnitur zwei Zentimeter näher an das Nagelkissen. Sie hatte die Jalousien so heruntergelassen, daß die Lamellen ungebrochene gerade Linien bildeten.
    Sie schlug den weinroten Brokat über die spitzengesäumten Laken.
    Schließlich legte sie sich hin. Das Sprechfunkgerät, das der Sheriff ihr gegeben hatte, zeichnete sich unter dem Kissen ab. Sie legte es in die Nachttischschublade.
    Sie lag da und horchte, wie die Uhr tickte, wie die Minuten, die Viertelstunden dahintröpfelten. Bitte komm, dachte sie. Sie versuchte, ihn kraft ihres Willens herbeizuzwingen. Wenn er im Haus war, wenn er diesen Flur entlangschlich, würde der Fichtennadelduft ihn sicher hereinlocken.
    Aber als die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Lamellen ins Zimmer drangen, war er immer noch nicht da. Sie blieb bis acht im Bett. Der Anbruch des Tages machte ihre Angst nur noch größer. Sie war so sicher gewesen, daß sie irgendwann in der Nacht leise Schritte hören würde, daß die Tür langsam aufgehen, daß Erich hereinkommen würde, um nach ihr zu sehen — um Caroline zu suchen.
    Jetzt blieben nur noch die Stunden bis zu den Abendnachrichten.
    Der Himmel war bedeckt, doch als sie das Radio anstellte, um den Wetterbericht zu hören, wurde kein Schnee angesagt. Sie wußte nicht genau, was sie anziehen sollte. Erich war so mißtrauisch. Wenn er sie nicht in Hose und Pullover antraf, warf er ihr womöglich vor, sie erwarte einen anderen Mann.
    Sie machte sich kaum noch die Mühe, in den Spiegel zu sehen. Heute morgen betrachtete sie sich jedoch und sah mit Schrecken die vorstehenden Wangenknochen, den gehetzten, starren Ausdruck in ihren Augen, die viel zu lang gewachsenen Haare. Sie befestigte sie im Nacken mit einer Spange. Sie dachte an den Abend, als sie in eben diesen Spiegel schaute und, nachdem sie den Dampf abgewischt hatte, plötzlich Erichs Gesicht sah, seine ausgestreckten Hände mit dem seegrünen Nachthemd. Ihr Instinkt hatte sie damals vor ihm gewarnt, aber sie hatte nicht auf die innere Stimme gehört.
    Sie ging durch die Zimmer im Erdgeschoß und prüfte jede Einzelheit. Sie wienerte die Arbeitsplatte und die Geräte in der Küche. Sie hatte sich in den letzten Wochen höchstens mal eine Dose Suppe warm gemacht, aber Erich wollte alles spiegelblank haben. In der Bibliothek fuhr sie mit einem Staubtuch die Regale entlang und stellte fest, daß auf dem dritten Fach tatsächlich das vierte Buch von rechts fehlte, genau wie Erich gesagt hatte.
    Wie sonderbar, daß sie sich so lange gegen die Wahrheit gesträubt, die Augen so hartnäckig vor dem Offensichtlichen geschlossen hatte, daß sie das Baby verloren hatte und vielleicht sogar die Mädchen, weil sie einfach nicht wissen wollte, wie Erich wirklich war.
    Gegen Mittag zogen dunkle Wolken auf; um drei wurde es windig, und aus den Schornsteinen drang ein stöhnendes Geräusch, aber die Wolken wurden wieder fortgetrieben, sodaß am späten Nachmittag die Sonne durchkam und einen trügerischen warmen Glanz auf die schneebedeckten Felder zauberte. Jenny ging von einem Fenster zum anderen, beobachtete den Waldrand, beobachtete die Straße zum Fluß, kniff die Augen zusammen, um zu sehen, ob sich unter dem tief heruntergezogenen Scheunendach jemand versteckte.
    Um vier beobachtete sie, wie die Arbeiter nacheinander nach Hause fuhren, Männer, die sie nie richtig kennengelernt hatte. Erich hatte ihnen verboten, in die Nähe des Hauses zu kommen. Sie war nie in ihre Nähe auf die Felder gegangen. Die Erfahrung mit Joe hatte ihr gereicht.
    Um fünf Uhr stellte sie das Radio an, um die Nachrichten zu hören. Die forsche junge Stimme des Sprechers berichtete über weitere Haushaltskürzungen, ein Gipfeltreffen in Genf, einen Attentatsversuch auf den neuen iranischen Staatspräsidenten. »Und hier eine Meldung, die soeben hereingekommen ist: Der Wellington-Trust gab soeben eine Kunstfälschung bekannt, die viel Aufsehen erregen dürfte. Erich
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