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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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bekamen sie zu hören: »Ist die junge Dame das Modell für ›Erinnerung an Caroline‹?« Erich amüsierte sich darüber: »Langsam glaube ich selbst, daß sie es ist.«
    Hartley konzentrierte sich darauf, die eintreffenden Gäste zu begrüßen. Aus seinem verklärten Lächeln folgerte Jenny, daß die Ausstellung schon jetzt ein Erfolg war.
    Offensichtlich waren die Kritiker von Erich Krueger als Persönlichkeit ebenso beeindruckt wie von dem Maler Krueger. Er hatte seinen Sportsakko und die Flanellhose gegen einen gutgeschnittenen dunkelblauen Anzug eingetauscht; sein feines weißes Manschettenhemd war offensichtlich Maßarbeit: Eine kastanienbraune Krawatte unter dem makellosen weißen Kragen setzte einen harmonischen Akzent zu seinem gebräunten Gesicht, den blauen Augen und den Silbertönen in seinem Haar. Am kleinen Finger der linken Hand trug er einen schmalen goldenen Ring, den sie schon beim Essen bemerkt hatte.
    Jetzt wurde ihr bewußt, warum er ihr so vertraut vorkam.
    Die Frau auf dem Bild trug ihn. Es mußte der Ehering seiner Mutter sein.
    Sie ließ Erich im Gespräch mit Alison Spencer zurück, der schicken jungen Kritikerin von Art News. Alison trug ein eierschalenfarbenes Kostüm von Adolfo, das ausgezeichnet zu ihren aschblonden Haaren paßte. Jenny wurde sich unvermittelt ihres schäbigen Wollrocks bewußt und blickte verlegen auf ihre Stiefel hinunter: Obgleich sie frisch besohlt und geputzt waren, sahen sie immer noch abgewetzt aus. Sie wußte, daß ihr Pullover genau wie das aussah, was er war, ein billiger, reizloser Polyesterfummel.
    Sie versuchte, sich ihre plötzliche Niedergeschlagenheit irgendwie zu erklären: Es war ein langer Tag gewesen, und sie war hundemüde. Es wurde Zeit, daß sie ging, und sie fürchtete sich beinahe davor, die Mädchen abzuholen. Als es Nana noch gab, war es immer ein Vergnügen gewesen, nach Hause zu kommen.
    »Und jetzt setz dich hin und entspann dich mal«, pflegte Nana zu sagen. »Ich mach uns einen kleinen Cocktail.« Dann erkundigte sie sich gern und mit ungeheucheltem Interesse, was in der Galerie passiert war, und las den Kindern immer vor dem Einschlafen eine Geschichte vor, während Jenny das Abendessen machte. »Du warst schon mit acht Jahren eine bessere Köchin als ich, Jen.«
    »Nana«, zog Jenny sie auf, »wenn du die Würstchen nicht so lange kochen würdest, sähen sie auch nicht wie Hockeyschläger aus!«
    Seit sie Nana verloren hatte, holte Jenny die Kinder von der Tagesstätte ab, brachte sie mit dem Bus nach Hause und lenkte sie mit Keksen ab, während sie schnell etwas zurechtbrutzelte.
    Als sie nach ihrem Mantel griff, trat einer der wichtigsten Sammler auf sie zu. Um fünf vor halb sechs schaffte sie es endlich, ihn abzuwimmeln. Sie überlegte, ob sie sich von Krueger verabschieden sollte, aber er unterhielt sich immer noch angeregt mit Alison Spencer.
    Was konnte es ihm schon ausmachen, daß sie ging? Sie vertrieb den erneuten Anflug von Depression mit einer heftigen Kopfbewegung und verließ die Galerie durch den Lieferanteneingang.
2
    Vereiste Stellen auf dem Bürgersteig machten das Laufen zu einem Abenteuer. Avenue of the Americas, Fifth Avenue, Madison Park, Lexington und Third Avenue.
    Second. Lange, lange Häuserblocks. Wer auch immer behauptete, Manhattan sei nur eine schmale Insel, hatte es bestimmt noch nie bei diesem Wetter durchquert. Aber die Busse fuhren so langsam, daß sie zu Fuß besser vorankam. Trotzdem würde sie zu spät kommen.
    Die Kindertagesstätte war in der 49. Straße, bei der Second Avenue. Es war viertel vor sechs, als Jenny außer Atem und keuchend bei Mrs. Curtis läutete. Mrs. Curtis öffnete, verschränkte die Arme und kniff die Lippen zornig zu einem dünnen Strich zusammen. »Mrs.
    MacPartland!«
    »Es war ein schlimmer Tag«, fuhr die strenge Dame nach einer Pause fort. »Tina hat in einer Tour gebrüllt.
    Und Sie haben mir gesagt, daß Beth trocken ist, aber ich kann Ihnen flüstern, das stimmt nicht!«
    »Sie ist trocken, ich meine, sie geht aufs Klo«, protestierte Jenny. »Aber die beiden haben sich wahrscheinlich noch nicht richtig daran gewöhnt, hier zu sein.«
    »Und sie werden auch keine Gelegenheit dazu haben.
    Ihre Kinder sind einfach zuviel für mich. Verstehen Sie meine Lage, eine Dreijährige, die noch nicht trocken ist, und eine Zweijährige, die den ganzen Tag schreit, sind allein schon Arbeit genug für einen!«
    »Mami.«
    Jenny ignorierte Mrs. Curtis. Beth und Tina saßen auf der
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