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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht
Autoren: Louis Begley
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nehmen, statt gleich aufzubrausen und meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen – rachsüchtige Gefühle waren es, ich weiß.
    Ach so, sagte sie.
    Ich habe dich wohl nicht überzeugt. Hier ist eine Idee: Willst du mich nicht einfach testen? Mit Geld-zurück-Garantie. Alice, gib mir diese Chance. Fahr mit mir weg – nach Venedig, Wien, Barcelona. Bitte, Alice!
    Was bist du für ein Baby, Schmidtie! Ich bin berufstätig, habe Verantwortung in meinem Job. Selbst wenn ich bereit wäre zu sagen, ja, ich möchte, könnte ich nicht einfach so mit dir in Flitterwochen auf Probe fahren.
    Dann komm nach Bridgehampton! Auf einen schönen langen Besuch. Oder teile die Zeit zwischen New York und Bridgehampton. Komm Weihnachten!
    Sie wurde sehr ernst. Ich glaube, ich gebe dir diese Chance, über Weihnachten nicht, aber zu Silvester könnte ich nach Bridgehampton kommen. Und vielleicht eine Woche bleiben.
    Sie lachte. Wenn du zufriedenstellend bist. Aber unter zwei Bedingungen: Du läßt mich in Ruhe, läßt mich bis dahin nachdenken, ohne mir lange Reden zu halten, und du bist einverstanden, daß ich meine Meinung vielleicht ändere.
    Meinst du damit, daß du vielleicht nicht kommst?
    Ja, das meine ich damit. Aber ich lasse es dich wissen, so oder so. Versetzen werde ich dich nicht.
    Sie aßen fast wortlos. Als sie fertig waren, sagte sie: Ich bestelle mir ein Taxi. Es ist schon spät, sonst hätte ich gesagt, laß uns zu Fuß gehen. Er nahm ihre Hand, das ließ sie zu. Als sie in der Rue St. Honoré vor ihrem Haus standen, bot sie ihm erst die eine, dann die andere Wange zum Kuß. Da sie keine Anstalten machte, den Code einzutippen, der ihre Haustür öffnen würde, nahm er sie in die Arme und küßte ihre Lippen, drängend, bis sie den Mund öffnete und ihre Zunge die seine umspielte. Es war ein langer, hingebungsvoller Kuß in enger Umarmung.
    Ich wollte es so sehr, stöhnte sie, nur aus dem Grund gebe ich dir vielleicht diese zweite Chance. Aber es ist ein schlechter Grund.
    Alice, antwortete er, es ist der beste Grund. Darf ich mit hinaufkommen, bitte?
    Nein, erwiderte sie, heute nacht nicht. Warte, bis ich dich zu Saint-Sylvestre besuche. Wenn ich mich dazu entschließe. O Schmidtie, bitte geh jetzt!

XXV
    Donnerstag, 1. Januar 2009, neun Uhr morgens. Das Außenthermometer an Schmidts Haustür zeigte neun Grad minus. Im Lauf des Tages würde es etwas wärmer werden, aber nicht viel. Die Vorhersage, daß die Temperatur höchstens auf vier Grad unter Null steigen würde, erschien immer noch plausibel. Er hob die Zeitung auf, die am Anfang seiner Einfahrt lag, und nahm sie mit in die Küche. Sy und Pi saßen neben ihren Freßnäpfen und sahen aufmerksam und erwartungsvoll aus, Pi wie immer stumm, Sy mit gutturalen Bemerkungen, die Schmidt sich übersetzen konnte: Beeil dich, Dummkopf, wir sind hungrig – und anderen Gefühlsäußerungen, die das gleiche bedeuteten.
    Guten Morgen, Katzen, antwortete Schmidt, und ein gutes neues Jahr! Immer mit der Ruhe. Es kommt schon.
    Damit meinte er die tägliche Portion Katzenfutter, eine halbe Dose für jede der beiden, und zusätzlich, aus Achtung für den Handel, den die Katze, die für sich blieb , mit der Frau geschlossen hatte, noch zwei Schälchen Milch, je mit einem kleinen Löffel von dem Schweizer Joghurt, den er selbst am liebsten aß.
    Weil Feiertag war, kam Sonja nicht. Das war gut so, denn er hatte sich darauf gefreut, Frühstück für Alice und sich zu machen, und hatte am Vortag bei Sesame eigens Croissants als plat de résistance besorgt. Er stellte fest, daß sie nicht aufgebacken werden mußten, legte sie auf einen Teller, holte Butter aus dem Kühlschrank, stellte Honig auf den Tisch, ein regionales Produkt, das er von einem Bauern in Water Mill gekauft hatte, und als besonderen Leckerbissen bittere Orangenmarmelade, eindeutigkein Produkt aus der Region. Der nächste Schritt war, Kaffee in der Cafetière zu machen und Milch zu erhitzen. Er trank seinen Kaffee schwarz, aber Alice nahm vielleicht lieber café au lait , also hielt er am besten beides bereit. Soweit er sich erinnerte, hatte er tatsächlich nie mit ihr gefrühstückt. Alle seine Vorbereitungen waren ein Schuß ins Blaue. Es konnte sein, daß sie Spiegeleier mit Schinken haben wollte, auch dann würde er sie nicht enttäuschen. Er würde bereitwillig seine Talente als Schnellkoch vorführen. Am liebsten hätte er ihr ein Tablett ins Schlafzimmer hinaufgebracht, aber beim Aufwachen hatte sie ihm ausdrücklich
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