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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht
Autoren: Louis Begley
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waren. Vertrauen lohnt sich eher als Mißtrauen. Er hatte Gus erklärt, daß er das Anwesen zu Silvester aus einem besonderen Grund tipptopp haben wollte, und Gus hatte sich daran gehalten. Schmidts Erfahrungen mit Gus waren in der Tat so gut, daß er glaubte, in puncto Zuverlässigkeit und Ausführung – optimalen Personaleinsatz nannte man das umständlich in Schmidts alter Kanzlei – seien Gus’ Leute anderen Gärtnern in den Hamptons ähnlich überlegen wie Wood & King den minderen Varianten der New Yorker Anwälte in den auf Schadensrecht spezialisierten Kanzleien rund um die City Hall oder Borough Hall, die, seitdem der Werbung keine Grenzen mehr gesetzt waren, ihre Dienste mit spanischen Werbeslogans auf Reklameschildern in U-Bahn-Wagen anboten. Gus’ Rechnungen waren hoch, so daß einem die Augen übergingen, aber das gehörte dazu und erinnerte ebenfalls an W & K. Die Namen all der freundlichen Kolumbianer, die Schmidts Rasen hegten und pflegten, die Ränder der Blumenbeete säuberten und Laubbläser betätigten, deren infernalischer Lärm Schmidts alte Siamkatze Sy und das junge Abessinierkätzchen Pi in Panik versetzte, waren in den Rechnungen einzeln aufgeführt und mit Angaben über Stundenlohn, einer Beschreibung der geleisteten Arbeiten und des Zeitaufwands versehen. Die Stundenzahlen in Gus’ Rechnungen wurden diskret aufgerundet, wie Schmidt annahm, ein Verfahren, das auch bei den Mitarbeitern von W & K üblich war: Telefonat mit Mr. Schmidt, so und so viele Zehntelstunden; Überarbeitung eines Memorandums nach seinen Randbemerkungen, zwei ganze und sieben Zehntelstunden, eine von Schmidt gewünschte Überprüfung der Punkte X, Y und Z zur Absicherung des Memorandums, elf Stunden und eine Zehntelstunde. Elf Stunden und eine Zehntelstunde an einem einzigen Tag? fragte sich Schmidt. Diesen Einträgen folgte bei W & K wie auch bei Gus eine Liste der zu erstattenden Auslagen. Bei W & K waren es Gebühren für Ferngespräche, Briefmarken, Botendienste, Kopien, Abendessen und Taxikosten für eine Heimfahrt nach Überstunden im Büro; bei Gus acht Sorten Dünger, Unkrautvertilger und Mittel gegen Insektenbefall; wenn die zwitschernden kolumbianischen Damen mitarbeiteten, kamen dazu noch säckeweise Pflanzerde, Blumenzwiebeln und Setzlinge.
    Er hörte Sonjas Auto in der Einfahrt, sie fuhr einen weißen Mercedes, ein ziemlich neues Modell sogar, an dessen Herkunft Schmidt immer wieder herumrätselte, seit sie im Sommer damit aufgetaucht war. Gehörte der Wagen einem Freund? Hatte sie ihn bei einer Tombola ihrer Kirche gewonnen oder mit ihrem Ersparten gekauft? In dem Fall zahlte er ihr einen zu hohen Lohn. Wie konnte er das Rätsel lösen, wenn er beharrlich weiter vermied, sie zu fragen? Zeit fürs Frühstück. Er begrüßte Sonja undsetzte sich. Der Kaffee war siedend heiß und stark; der Joghurt gar nicht so übel, die Trauben hervorragend. Was fehlte, waren die Croissants und Scones, die er früher jeden Morgen bei Sesame gekauft hatte, dem wunderbaren Delikatessenladen, noch immer seiner Einkaufsquelle für Geflügelsalat, Käse und Ravioli in brodo. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er sich an dieses Gebäck erinnerte, das auf Anweisung der chinesisch-amerikanischen Dame Dr. Tang, der Nachfolgerin seines alten Hausarztes und Freundes David Kendall, von seinem Frühstückstisch verbannt war. Kendall war im Ruhestand. Schmidt fragte sich, ob er überhaupt noch irgend jemanden kannte, der sich nicht zur Ruhe gesetzt hatte. Ja, natürlich: Gil Blackman, sein alter Freund und Zimmergenosse im College, drehte immer noch Filme; Mike Mansour war wie immer damit beschäftigt, seine Milliarden zu verwalten, und die fabelhafte Caroline Canning und ihr scheußlicher Ehemann Joe kritzelten nach wie vor ihre Bücher.
    Albern und überflüssig, daß Frau Dr. Tang so auf seine Diät achtete, dachte er. So überflüssig wie in gewisser Weise auch die Dienste von Gus und seinen Vorgängern, die Schmidt Jahr für Jahr weiter beschäftigte, seit Tante Martha gestorben war und Mary das Haus geerbt hatte. Wie viele Jahre waren das inzwischen? Er zuckte die Achseln: fast vierzig. Wie lang würde es noch so weitergehen? Nach seiner Einschätzung nicht mehr als zehn Jahre. Er hatte Dr. Tang gefragt, ob sie vorhersehen könne, in welcher Form der Tod ihn treffen werde. Angst würden Sie mir damit nicht machen, hatte er gesagt, auf uns alle wartet eine Begegnung in Samarra, und ich besitze eine Grabstelle mit
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