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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht
Autoren: Louis Begley
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lasse einen Tisch reservieren und treffe dich dort.
    Es war eines der Restaurants ohne Vorraum: Man ging direkt von der Straße durch eine schwere rote Samtportiere in den ersten von zwei Räumen, in denen man essen konnte. Ein junger Mann, den Schmidt für den Geschäftsführer oder den Eigentümer hielt, schob die Portiere beiseite und begrüßte ihn, nahm ihm auch den Regenmantel ab und gab ihn einer jungen Frau, die er aus dem Hintergrund herbeigerufen hatte. Als Schmidt sagte, er sei mit Mrs. Verplanck verabredet, schmunzelte der junge Mann übers ganze Gesicht und führte ihn an einen Tisch im ersten Raum, von wo aus er die Gäste eintreten sehen konnte. Das Restaurant war angenehm gefüllt; angenehm war auch der gedämpfte Ton französischer Plaudereien. Zehn vor acht. Auch das war gut. Er hatte als erster dasein wollen. Da der junge Mann ihm versicherte, er könne einen trockenen Gin-Martini zubereiten, bestellte Schmidt einen und wurde nicht enttäuscht. Dann sah er sie hereinkommen. Sie trug einen hellbraunen Mantel, der ihre Figurbetonte. Die Zeit und neuer Kummer – Popov! – hatten feine Linien in ihre Mundwinkel gezeichnet, und ihre Augen hatten sich tiefer in die Höhlen gesenkt. In ihrem Haar zeigte sich mehr Grau, mehr als er bei dunkelblondem Haar für wahrscheinlich gehalten hatte. Er fand, daß sie Michèle Morgan ähnlich sehe, noch schöner als vor dreizehn Jahren sei, daß sie einfach die schönste Frau war, die er je gesehen hatte. Er stand auf und war bei ihr, noch bevor der junge Mann ihr aus dem Mantel helfen konnte. Ihr Duft hüllte sie ein, eine Mischung aus einem Parfüm, das er nicht kannte, der Wärme ihres Körpers nach einem langen Spaziergang – er war sicher, daß sie zu Fuß gekommen war, ein Taxi hätte er gesehen – und der frischen Abendluft. Er war überwältigt. Kein Irrtum: Er liebte sie. Sie streifte ihre langen dunkelroten Velourslederhandschuhe ab und hielt ihm die Hand mit der Handfläche nach unten und leicht gebeugtem Gelenk entgegen. Er wußte, damit zeigte sie, daß sie einen Handkuß erwartete, aber er fürchtete, diese Geste unbeholfen, wie ein Amerikaner, auszuführen. Deshalb ergriff er ihre Hand – eine wunderbar große warme Hand mit langen Fingern, die über jeden Zentimeter seines Körpers gewandert waren – und schüttelte sie.
    Er wartete, bis ihr ein Glas Champagner serviert worden war und sie einen Schluck getrunken hatte, erst dann erzählte er ihr von Charlotte. Irgendwann, vielleicht als er von seinen Besuchen in Sunset Hill berichtete, legte sie ihre Hand auf seine und ließ sie dort, bis er zu Ende erzählt hatte.
    So, jetzt weißt du es, sagte er. Du mußtest es erfahren. Heilen kann die Wunde nicht, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Das steht fest. Es ist seltsam, und ich hätte es auch selbst nicht geglaubt, aber jetzt, da ich mit dir hier bin, weiß ich sicherer als je zuvor, so sicher wie nichteinmal in unseren Umarmungen, daß ich dich liebe. Wenn man unter Liebe das große Glück über die bloße Anwesenheit der anderen Person versteht, und das unbedingte Bedürfnis, diese Person glücklich zu machen, sie zu beschützen, sie mit einer ganzen Bergkette aus Güte zu umgeben, so unbedingt, wie man Atem holen muß. Das steht auch fest. Aber noch etwas anderes steht fest: mein Alter. Nächsten Monat werde ich achtundsiebzig. Meine Gesundheit ist ausgezeichnet, das ist nichts Neues, ich habe keinen einzigen Tag mit der Arbeit ausgesetzt. Trotzdem, irgend etwas sagt mir, daß ich nur noch zehn Jahre leben werde. Das ist sogar die günstigste Prognose für den Fall, daß mir in diesen zehn Jahren meine körperliche Verfassung, meine Vitalität und meine Energie unvermindert erhalten bleiben. Ich habe das Gefühl, daß es so sein wird. Darüber hinaus kann man nur spekulieren. Ich neige dazu, das Schlimmstmögliche für das Wahrscheinlichste zu halten. Wie auch immer, wäre ich dein Vater oder dein Bruder …
    Mein Vater ist tot, unterbrach sie ihn, seine Freundin auch, und einen Bruder habe ich nicht.
    Das tut mir von Herzen leid, fuhr Schmidt fort, aber wenn dein Vater noch lebte und wenn du ihn um Rat fragen könntest, würde er sicher sagen, daß man auf mich nicht setzen sollte. Also hör dir bitte ein paar Details zu meinem Vorschlag an und laß mich sagen, warum ich mir das Recht nehme, meinen Fall wenigstens zu verteidigen.
    O Schmidtie, seufzte sie, du redest so viel.
    Ja, ich schäme mich auch wegen meines andauernden
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