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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht
Autoren: Louis Begley
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die Tränensäcke unter seinen Augen, obwohl er wußte, daß sie leicht zu entfernen wären. Gil Blackman hatte sichdie Augenpartie vor kurzem von einem Polo spielenden, für seine gute Arbeit bekannten Arzt auf der Upper East Side verschönern lassen, aber Schmidt drehte keine kostspieligen Filme und mußte auch nicht, wie Gil zu der Zeit, für irgendeine DT jünger aussehen. Schmidt konnte ohne Selbstverschönerung im Hollywoodstil auskommen. Mit seinen Zähnen war es etwas anderes. Gil hatte sich auch die Schneidezähne überkronen lassen, ein Verfahren, das möglich war, wenn sie trotz ihres scheußlichen Aussehens noch fest verwurzelt waren. Das traf für Gils Zähne zu, deshalb wurden sie abgefeilt und dann mit individuellen Kronen versehen, die so geschickt aus gefärbtem Porzellan geformt waren, daß sie natürlich wirkten und nicht das Werk eines Dentaltechnikers verrieten. Dafür war zweifellos eine größere finanzielle Transaktion erforderlich, zumal der Zahnarzt Gil gestanden hatte, daß er von dem Betrüger Madoff ausgeraubt worden sei. Es lag nahe, daß der Arzt versuchen würde, sich bei seinen Patienten mit einem Aufschlag auf die Rechnungen schadlos zu halten. Und wenn schon! Warum sollte Schmidt an der Mundpflege sparen, wenn er es doch für selbstverständlich hielt, daß die Außenwände seines Hauses in Bridgehampton gebeizt und die Fenster- und Türrahmen neu gestrichen wurden, wann immer Bryan, der sich selbst zu Schmidts Katzenhüter, Faktotum und Majordomus ernannt hatte, ihm erklärte, es sei wieder an der Zeit? Er würde sich die Zähne von Gils Zahnarzt überkronen lassen und trotzdem noch genug Geld für Reisen über den Ozean haben, sooft ihm Alice ein Zeichen gab, und er konnte in Paris sein, so lange und sooft sie wollte, wenn sie ihn nur wieder nehmen würde. Nicht daß Schmidt erwartete, noch viel Zeit für diese Reisen und das Durchbringen seines Geldes zu haben. Als er Gil gesagt hatte, er rechne mit zehn Jahren, war er vollkommen ehrlich gewesen. Das Legat, daser Carrie und Jason für Albert und dessen Schwester und die Geschwister, die vielleicht noch kamen, versprochen hatte, bliebe ihnen, und für Alice wäre noch genug übrig, wenn sie nur …
    Der Toilettenwärter, ein lächelnder braunhäutiger Herr – an den Zähnen dieses Mannes war nichts auszusetzen! –, füllte das Waschbecken mit warmem Wasser. Schmidt bat ihn um heißeres, wusch sich langsam Hände und Gesicht, trocknete sie mit einem guten Leinenhandtuch ab, das ihm auf einem Tablett gereicht wurde, und tropfte sich in jedes Auge einen Tropfen Visine. Es brannte, aber die Wirkung war zufriedenstellend. Eine auf demselben, diskret noch einmal präsentierten Tablett abgelegte Zwei-Euro-Münze lockte ein breiteres Lächeln mit einer Menge weißer Zähne hervor. Schmidt versuchte noch zweimal, sich im Spiegel anzulächeln, dann war er zum Aufbruch bereit. Alice anrufen? Nein, auf keinen Fall. Er würde abwarten, daß sie den ersten Zug machte. In der Hotellobby wurden Tee und Drinks serviert. Er fand einen Sessel in der Ecke, schwankte zwischen einem Bourbon und heißer Schokolade und entschied sich für das heiße Getränk. Die Sandwiches sahen gut aus. Wie sich zeigte, waren sie auch gut. Heißhungrig – im Flugzeug hatte er nur einen Joghurt gegessen und das übrige Frühstück zurückgewiesen – bestellte er immer mehr, bis sich in seinem Körper eine angenehme Wärme ausbreitete. Endlich wurde er ruhig.
    Über eine Stunde später rief sie dann an. Er war inzwischen wieder im Appartement, hatte den Koffer ausgepackt und die Fotos auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer und der Kommode im Schlafzimmer aufgereiht: Bilder von Mary, von Charlotte in ihrem letzten Jahr in der Brearly-Schule, von Carrie in ihrem ersten gemeinsamen Jahr, Carrie und dem kleinen Albert, und Alice. Ein Fotovon Alice, um dessen Rückgabe sie nicht gebeten hatte, wahrscheinlich hatte sie es vergessen. Auf dem Bild war sie zehn Jahre alt und stand ohne Hemd und in kurzen Jungenhosen am Strand von Deauville; hinter ihr die flache See.
    Also, du Aasgeier, sagte sie, bist du zu müde zu einem Essen mit mir heute abend?
    Nein, das heißt ja, ich möchte heute abend mit dir essen gehen. Wo? Wann?
    Um acht Uhr? Dein Appartement ist am Place du Palais-Bourbon, hast du gesagt? Auf der rechten Seite der Rue de Bourgogne zwischen den beiden letzten Querstraßen, der Rue de Grenelle und der Rue de Varennes, ist ein gutes Restaurant. Nr. 50 oder so. Ich
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