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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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Irma geht nicht weg. Das bleibt hier.« Beim letzten Satz war aus den zögernden Worten ein Grollen geworden.
    Wittlich, soviel war Schütz sofort klar, ging es nicht darum, dass Irma für die Familie die Heidelbeeren zu verkaufen hatte, dass sie wie ihre Schwestern die Ziegen zu hüten, die Kartoffeln zu klauben und den Kaninchen das Fell abzuziehen hatte. Es ging nicht um die Angst, Schulgeld zahlen zu müssen oder im Dorf für Neid und Missgunst zu sorgen. Gegen diese Einwände hätte der Lehrer, der immerhin in Düsseldorf das Seminar besucht hatte, Argumente bereit gehabt. Er musste sich eingestehen, dass er sich ausgemalt hatte, Irma werde eines Tages als kluge, bescheidene, mit haushälterischen Kenntnissen ausgestattete Frau in großer Dankbarkeit zu ihm zurückkehren. Der alte Wittlich hatte verstanden, dass der Lehrer ihm seine Tochter wegnehmen wollte. Und Schütz wiederum hatte verstanden, dass Irmas Vater in dieser Sache das letzte Wort behielt.
    Â»Der Alte Wittlich ist ein Säufer«, sagte Schütz. »Er hat alle Mühe, die Münder seiner sieben Kinder satt zu kriegen. Drei Pfennige bekommendie Mädchen für das Pfund Heidelbeeren in Arlich – für das, was der Vater nicht selber zu Schnaps brennt.« Der Lehrer tippte gegen sein Glas.
    Â»Ich interessiere mich für seine Tochter«, sagte der Herr geradeheraus, so dass den Lehrer Angst ergriff. Doch gleich fasste er sich wieder, weil er meinte, das sicher ohnehin nur oberflächliche Interesse des reichen Städters bremsen zu können.
    Â»Eine müsste im heiratsfähigen Alter sein …«
    Â»Sie ist dreizehn.«
    Â»Irma«, entfuhr es Schütz, und als hätte Vahlen das nicht gerade gesagt: »Sie ist erst dreizehn.«
    Â»Sehr hübsch«, sagte der andere. »Ich komme wieder, wenn sie sechzehn ist. Richten Sie das August Wittlich aus. Und geben Sie ihm das hier.« Er ließ einen Taler auf den Tisch rollen und sah Schütz prüfend an. Dann zog er einen zweiten und einen dritten Taler aus der Tasche und stapelte sie neben der anderen Münze übereinander. »Das ist für Ihre Umstände«, sagte Vahlen und ging.
    Nach einer durchwachten Nacht machte sich der Lehrer am Morgen auf den Weg, um den Auftrag auszuführen. Ein Hahn krähte. Vor den Häusern im Unterdorf hängten junge Mädchen ihre Wäsche zum Trocknen auf. Die Frauen am Burplatz schwatzten über den schönen Rock des Fremden. Ansonsten war mit seiner hastigen Abfahrt und einigen Talern für den Gemeindevorsteher und den Bauern Gehrke, der die Reparatur des Landauers übernommen hatte, im Dorf wieder Ruhe eingekehrt. Die Sonne schien warm auf die aufgeweichten Wege. Die Waldhänge standen dampfend über den Feldern des Aulbachtals. Das Tosen der Obermühle drang bis zum Marktplatz vor.
    Als Schütz mit pochenden Schläfen, den Morbelswein noch in allen Gliedern, den glitschigen Pfad zur Hüh heraufkam, empfing ihn der Hund mit aufgeregtem Bellen. Schütz trat das Tier beiseite. Dann fiel sein Blick auf die kleine Wittlich, die mit traurigen Augen und einem geheimnisvollen Lächeln eine Ziege hinter sich herzog.
    Â»Guten Morgen, Herr Lehrer«, sagte sie.
    Â»Guten Morgen, Irma«, sagte Schütz, den die unerwartete Begegnung aus dem Konzept brachte. »Ist dein Vater auf dem Acker?«
    Â»Im Haus.« Irma zeigte auf den mit Sacktuch verhängten Eingang. Sie lächelte noch immer, die Sonne auf den Wangen, als wäre dieses matschige, mühsame Leben, wie sie es nie anders gekannt hatte, nur eine Übergangslösung, die Vorbereitung auf eine entfernte, schönere Zukunft.
    Â»Danke, Irma.« Er sah lange in ihre Augen. Und in diesem Moment wuchs Schütz, der sich bisher nicht klar darüber gewesen war, was er dem alten Wittlich tatsächlich von Vahlens Vorhaben sagen wollte, über sich hinaus. Als er Irmas Lächeln sah, nahm der Lehrer sich feierlich vor, alles zu tun, um ihr das Fortkommen aus Sehlscheid zu ermöglichen.
    Â 
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