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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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und ging zu ihnen hinüber.
    Â»Läuft das schon lange so?«, flüsterte er der Blondine neben sich ins Ohr.
    Â»Schon eine ganze Weile«, sagte sie gelangweilt.
    Â»Hast du Lust, mit vor die Tür zu gehen?« Die Frau schien Gellmann plötzlich sehr begehrenswert.
    Â»Nein, ich warte auf den nächsten«, sagte sie.
    Gellmann verdrehte die Augen. Er hörte dem Studenten noch eine Weile zu, damit es nicht wie ein Rückzug aussah. Dann kämpfte er sich weiter nach vorn in Richtung Seeler.
    Â»Hast du eine Zigarette für mich?«
    Â»Hast du die Handzettel?«
    Â»Nicht gedruckt, wenn du das meinst. Ich habe ein paar Texte mitgebracht. Was Einfaches mit Pointe und so. Sollte funktionieren. Drucken müsst ihr selber.«
    Â»Praxis, Mann, Praxis«, sagte Seeler.
    Â»Ist das etwa keine Praxis?« Gellmann reichte ihm einen Packen zerknitterter Zettel, die er in der Hemdtasche getragen hatte.
    Jetzt ging der nächste Redner auf die Bühne zu – ein großer, verdrießlich aussehender Typ mit halblangen Haaren und abgewetztem Jackett. Als er das Treppchen hochstieg, stolperte er und fiel fast hin.
    Â»Das ist Peter Vahlen aus Frankfurt«, sagte Kolpers an Seeler gewandt.
    Â»Wer ist Peter Vahlen?«, fragte Gellmann.
    Â»So einer wie du. Bloß effektiver.«
    Gellmann überlegte kurz, ob er die Beleidigung ernstnehmen sollte. Kolpers war einer der Asta-Sprecher. Er fühlte sich zuständig für die Verbindung der Universität mit den Arbeitern. Aber vor allem hatte er schon mehrere wichtige Partys organisiert. Gellmanngrinste und wollte einen Witz machen, als Kolpers ihn mit einer Geste in Richtung der Bühne unterbrach.
    Â»Es geht los.«
    Der Typ räusperte sich und ruckelte umständlich am Pult herum. Seine Schultern waren hochgezogen, trotzdem wirkte er gelassen. Gellmann hatte ihn noch nie gesehen. Aber den Namen Vahlen meinte er schon einmal gehört zu haben.
    Er sah zu der Blondine hinüber, die den neuen Mann auf der Bühne nicht aus den Augen ließ. Aus der Ferne hatte sie eine ziemlich dicke Nase und gar keine Brust. Sie flüsterte ihrer Freundin etwas zu. Ihre Freundin lächelte. Sie hatte ebenfalls hellblondes Haar, war aber schlanker und hatte feinere Züge. Sie sah großartig aus.
    Â»Scheiße«, sagte Gellmann leise.
    Jetzt faltete der Typ ein Blatt Papier auseinander, zog eine halbleere Flasche Bier aus seiner hinteren Hosentasche und nahm einen langen Schluck. Er las eine Geschichte. Irgendetwas von einem jungen Paar, das kein Hotelzimmer bekommen konnte, weil es nicht verheiratet war. Und am Ende sagte er, wenn diese Gesellschaft es weiterhin verbot, dass Menschen, die sich liebten, zusammen sein konnten, dann werde das ganze autoritäre Scheißsystem trotz der Springerpresse und trotz des imperialistischen Vietnamkriegs bald von allein zusammenbrechen.
    Vahlen würde recht behalten. Das dachte Gellmann an diesem späten Morgen im Januar 1967. Und vielleicht konnte Vahlen mit seinen schlichten, einleuchtenden Ideen sogar dazu beitragen, dass es so kommen würde. Vielleicht mehr als Gellmann, der halbherzig Sprüche für Fabrikarbeiter verfasste und mit dem revolutionären Straßentheater durch die Republik tingelte. Seit Wochen fanden an den Berliner Universitäten keine Vorlesungen mehr statt. Von morgens bis abends wurden neue Formen des Zusammenlebens debattiert. Aber dass ausgerechnet hier alle Blicke an Vahlens Lippen hingen – ein Typ aus Frankfurt, der einen drittklassigen Text vorlas, als ob es Ibsen wäre –, darüber kam Gert Gellmann nicht hinweg.
    Â 
Die schönste Frau (April 2007)
    Der Salon der Witwe glich einer Bibliothek, so vollgestellt war er mit Bücherregalen und Sofas, auf denen sich Bücher in ungeordneten Haufen stapelten. Der Esstisch war mit Landkarten, Zeitschriften und schweren Bildbänden bedeckt. Vor einem der Regale stand ein Mädchen, etwa vierzehn, fünfzehn Jahre alt, und blickte zu ihnen herüber. Sie trug ein rosa Kleid, von dessen Rücken zwei Stoff-Flügel herunterhingen. Ihr Gesicht war wie das Kostüm von einer geradezu synthetischen Lieblichkeit und erinnerte Wieland – er brauchte eine Weile, um sich darüber klar zu werden – an die Handschuhe, die seine Mutter ihm als Kind vor dem Schlafengehen angezogen hatte, damit er sich nicht zerkratzte.
    Â»Bist du gar nicht bei den Pferden, Alexia?«, fragte
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