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Salz und Asche - Roman

Salz und Asche - Roman

Titel: Salz und Asche - Roman
Autoren: PeP eBooks
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1
    Die Tote im Fluss
    H exenkind! Totes Mädchen, Wiedergänger!« Die Gassengören konnten es wieder einmal nicht lassen. Susanne Büttner bückte sich, hob eine vertrocknete Rübe aus dem Straßendreck auf und warf sie nach den aufkreischenden Kindern. »Wartet, ich helf euch, Lumpengesindel!«
    Die meisten von ihnen liefen lachend davon, aber die drei größten Jungen gingen rückwärts und machten rüde Gesten.
    Susanne schlüpfte aus ihren Holzpantinen, ließ ihr Bündel auf den Boden fallen und raffte den Rock, um loszulaufen. Das genügte, um auch die letzten Plagegeister in die Flucht zu schlagen. Sie konnte ihre Schuhe wieder anziehen.
    Ihre große Schwester stand wie immer mit glühenden Wangen und gesenktem Kopf da. Regine wehrte sich nie selbst, obwohl der Spott ihr galt.
    Susanne streckte die Hand nach ihr aus. »Komm weiter, Gine. Die kommen nicht zurück.«
    Seit sieben Jahren trieben die Kinder es so. Man hätte meinen sollen, der Reiz hätte im Laufe der Zeit nachgelassen, doch so, wie immer neue Kinder heranwuchsen, wuchs auch die Spottlust nach. Susanne war jederzeit auf einen kleinen Kampf gefasst, wenn sie mit Regine ausging. Dabei
waren sie beide inzwischen erwachsen, und zu handgreiflichen Auseinandersetzungen war es schon seit langer Zeit nicht mehr gekommen.
    Sie gingen an der Ratsapotheke vorbei bis zum Haus des Scherenschleifers. Susanne hatte eine Schere, ein Messer und eine Abziehklinge für Fassgauben im Bündel.
    Der Scherenschleifer hatte Zeit, die Arbeit sofort zu tun. Susanne hätte gern gewartet, um zuzusehen, wie er das Werkzeug schärfte. Regine jedoch zog es zum Wasser, wie es sie immer zum Wasser zog, als hätte diese Anziehung nicht schon genug Schaden angerichtet.
    Susanne seufzte und gab nach. »Wir kommen später wieder«, sagte sie dem Scherenschleifer. »Meine Schwester möchte den Fluss sehen.«
    Der Handwerker nickte. »Merkwürdig ist das schon. Man sollte meinen …«
    »Ja, ja, sollte man. Aber so ist es eben nicht.« Susanne lächelte ihm entschuldigend zu und beeilte sich, Regine einzuholen, die schon zum Ufer der Ilmenau unterwegs war, auf ihre schwebende, deshalb aber nicht weniger zielstrebige Art.
    Sie wanderten durch das Rote Tor aus der Stadt hinaus und auf dem Pfad am Flusslauf entlang bis zu den Bleichwiesen. Für Ende Mai war es noch kühl, aber besonders hier roch die feuchte Erde so angenehm nach Sommer, dass man ganz vergaß, wie die Ilmenau in dieser Jahreszeit stinken konnte.
    Susanne überlegte, ob sie allmählich umkehren sollten, als sie hörten, dass am Wasser etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
    Regine stieg die Böschung hinunter, und Susanne folgte ihr gewissenhaft. Unten hatten sich Menschen versammelt,
die aufgeregt miteinander redeten, einige standen bis zu den Knien im Wasser auf der kleinen Sandbank, wo sonst Frauen die Wäsche ausspülten. Einen Büttel erkannte Susanne, ein paar Kinder und Wäscherinnen. Noch verdeckten sie Susanne und Regine die Sicht auf den Grund ihrer Aufregung, aber verstehen konnte man sie schon.
    »Sie hat einen Stein um den Hals, der Herrgott sei ihr gnädig.«
    »Ja, der Herrgott sei’s, der Pastor wird es nicht sein.«
    »Wer ist es denn?«
    »Eine aus den Schiffergassen.«
    Susanne blieb stehen, als sie begriff. Unweigerlich wurde ihr Blick vom fließenden Wasser angezogen. Weiß trieb ein Laken im Fluss, das eine Wäscherin vor Schreck hatte fallen lassen. Es bewegte sich in der Strömung, als wäre es etwas Lebendiges. So hatte sich der Unterrock ihrer Schwester bewegt, als sie leblos im Wasser des Hafens trieb. Weiß, weiß wie die offen flatternden Bänder der Haube, die Regine jetzt trug, als sie die Tote betrachtete, die auf der Sandbank lag.
    Susanne beobachtete ihre Schwester ängstlich. Mit großen Augen sah Regine hinunter, staunend wie die Unschuld selbst, dann blickte sie wieder aufs Wasser. Weiß glänzte das spiegelnde Sonnenlicht auf den kleinen Wellen des Flusses und lenkte ihren Blick von der Leiche ab, die sie im selben Moment zu vergessen schien. Sie lächelte verträumt.
    Woran dachte ihre Schwester bloß? Susanne hatte so oft versucht, sie zum Sprechen zu bringen, aber Regines Gedanken blieben meistens eingesperrt. »Regine? Komm, wir wollen nach Hause.«
    Regine schüttelte den Kopf, lächelte lieb und ging einen
Schritt näher an die Menschen heran, die sich die Tote ansahen. Einen Moment schaute sie noch, dann drehte sie sich zu Susanne um. »Sah ich so aus?«
    Susanne zwang sich,
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