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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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Doktoranden über einen Haufen von Bonbonpapieren hinweg an. Kittel hatte weißes, volles Haar, sein Gesicht wirkte klug, beinahe gerissen. Hartnäckig hielt sich an der Universität das Gerücht, er bevorzuge hübsche Studentinnen. Aber das nervöse Kichern, das seine auffällige Erscheinung bei den Erstsemestern auslöste, schien er gar nicht zu bemerken. Und Wieland war an seinem Professor vor allem die trotzige Nachlässigkeit desjenigen aufgefallen, der ganz mit sich selbst beschäftigt ist.
    Mehrere fleckige Kaffeetassen waren über den Tisch verteilt, die Bürolampe stand auf einem aufgeschlagenen Buch. Am Institut war allgemein bekannt, dass Kittels Sekretärin vor einer Weile gekündigthatte, und Wieland sagte sich, dass der Professor mit seiner Unordnung gegen die Verwaltung protestieren wollte, die sich nicht beeilte, die Stelle neu zu besetzen.
    Hans Ullrich Kittel war kein namhafter Germanist. Er hatte in Frankfurt studiert, nach einer wenig beachteten Monographie einige Aufsätze zur klassischen Dramentheorie veröffentlicht und sich seit der Übernahme des Postens in Duisburg ausschließlich um seine Vorlesungen gekümmert. Die meisten seiner Studenten wussten es zu schätzen, dass er ihnen viel Freiraum ließ.
    Im kommenden Jahr würde eine einzige Postdoktorandenstelle vergeben werden. Die Fördergelder waren genehmigt. Wieland rechnete sich gute Chancen aus, auch wenn seine Konkurrentinnen sicher nur darauf warteten, dass er mit seinem Dissertationsprojekt scheiterte. »Kittels Mädchen« wurden sie genannt, und Wieland ärgerte sich, dass er als einziger männlicher Anwärter wie selbstverständlich dazugezählt wurde. Er konnte nicht einmal behaupten, die drei Frauen seien unqualifiziert oder unkollegial. Und doch kam es ihm vor, als wären alle ihre Überlegungen zu Schillers Tragödien, zu Hauptmanns Realismus oder zur Polyglossie in Shakespeares Königsdramen allein gegen seine wissenschaftliche Laufbahn gerichtet.
    Â»Noch immer Vahlen?«, fragte Kittel.
    Â»Noch immer Vahlen«, sagte Wieland.
    Der Nachlass Peter Vahlens enthielt sicherlich die interessantesten Briefe Gert Gellmanns. Aber bisher blieben alle Anfragen, die Wieland über den Verlag an die Familie des Schriftstellers gestellt hatte, unbeantwortet. Der Lektor hatte ihm lediglich mitgeteilt, es handele sich um eine »schwierige Witwe«, da könne man nichts machen. Inzwischen ließ der Mann sich von seiner Sekretärin verleugnen, wenn Wieland anrief. Er ahnte langsam, warum sich kaum einer seiner Kollegen mit Gegenwartsliteratur beschäftigte.
    Etwas Ähnliches schien Gellmann gemeint zu haben, als er ihn bei ihrem ersten Treffen so seltsam begrüßt hatte. Wieland hatte den Dramatiker angeschrieben, und dieser lud ihn umgehend zueinem Theaterfestival im Ruhrgebiet ein. Verloren hatte der Doktorand nach der Vorstellung im Foyer gestanden. Gellmann war umringt von Freunden, mit denen er sich lachend unterhielt. Wieland stellte sich an die Bar und wartete, bis Gellmann etwas bestellen kam. Aber als der Dramatiker schließlich neben ihm stand, wagte Wieland es nicht, ihn anzusprechen. Eine große, schlanke Frau war Gellmann gefolgt, und er legte den Arm um ihre Taille. Dabei sah er Wieland an, als wisse er längst, wer vor ihm stand.
    Â»Wie geht’s?«, fragte Gellmann nach einer Weile. Die Frau musterte Wieland mit herablassender Neugier, während er seinen Namen nannte.
    Â»Ach«, rief Gellmann übertrieben laut. Sein Blick schweifte dabei über den Saal, als wolle er auf diese kuriose Begegnung auch andere aufmerksam machen. »Das ist also der Mann, der mich unsterblich machen will.«
    Der Professor zog jetzt einen Ordner aus dem Stapel auf seinem Schreibtisch und ließ ihn in den Mülleimer zu seinen Füßen fallen. »Da haben Sie es wohl mit einer schwierigen Witwe zu tun«, sagte er.
    Â»Wenn ich wenigstens wüsste, wo diese Witwe zu finden ist. Niemand will mir ihre Adresse geben. Es ist, als gebe es sie gar nicht. Sagen Sie, ist das ein feststehender Begriff, ›schwierige Witwe‹?«
    Â»Mein Lieber, es gibt ganze Studien über ›schwierige Witwen‹«, sagte Kittel. »Zumindest sollte es sie geben. Haben Sie noch nie von der Stummer-Witwe gehört? Oder von der des Kanzlers Sandheim?«
    Â»Das sind doch Politiker«, sagte Wieland.
    Â»Ja, aber es geht
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