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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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letztlich immer um dasselbe«, antwortete Kittel. »Verbitterte, renitente, geldgierige Frauen mit allen möglichen Befindlichkeiten und überzogenen Vorstellungen vom Wert ihres Besitzes. Die sitzen auf dem Nachlass und keiner kommt ran. Hat es immer gegeben. Wird es wohl immer geben. Interessant wäre nur zu wissen, wie es mit den Witwern berühmter Frauen aussieht. Den Fall gab es bisher selten.«
    Â»Hat denn niemand die Witwe zumindest aufgesucht? Vahlen war doch ein wichtiger Autor.«
    Â»Sicher. Vielleicht ist sogar alles vollständig durchgesehen, und es hat sich nichts weiter gefunden. Die Witwe behauptet einfach, dass sie niemand an den Nachlass heranlässt, um dem Ganzen eine geheimnisvolle Aura zu geben. Darüber freuen sich Journalisten und junge Wissenschaftler wie Sie. Das hebt den Marktwert, denkt die Witwe. Und vielleicht hat sie sogar recht.«
    Â»Ah, so«, sagte Wieland wenig überzeugt.
    Â»Auf jeden Fall sind Sie mit Ihrer Arbeit schon weit gekommen. Sie können eine kleine Fußnote einfügen, in der Sie anmerken, dass die Erben keine Anstalten gemacht haben, Ihnen zu helfen. Damit werden Sie zum Fortbestehen des Mythos der ›schwierigen Witwe‹ beitragen.«
    Kittels Gleichmut begann Wieland zu ärgern. Der Professor wusste doch genau, was die Anstellung am Lehrstuhl für ihn bedeutete und wie sehr sie vom Erfolg seiner Arbeit abhing.
    Â»Da fällt mir etwas ein«, rief Kittel plötzlich. »Kennen Sie Freddy?«
    Â»Nein. Wer ist das?«
    Â»Freddy – der Philosophische Gärtner aus Villa Westerwald .« Mit einer schlecht durchgehaltenen Fistelstimme sprach der Professor weiter: »›Die Margerite denkt im Rosenbeet mehr Licht zu bekommen. Aber sie hat vergessen, dass es sich um ein Rosenbeet handelt.‹«
    Wieland verstand nicht, wovon sein Doktorvater redete.
    Â»Mein Armer«, rief Kittel. »Sie kennen Villa Westerwald nicht? Und Sie wollen über Vahlen schreiben? Ach, ja. Die Studenten halten heutzutage nichts vom Fernsehen. Schauen Sie sich das an. Das ist eine Wahnsinns-Sache. Nach drei Folgen können Sie nicht mehr abschalten. Ich bin gerade bei der vierten Staffel. Und noch immer ist die Alte nicht mit ihrer Jugendliebe zusammengekommen. Das Verlagshaus wird vom Urenkel in den Ruin gefahren. Die Tochter schläft mit allem, was zwei Beine hat, Sie verzeihen, aber so geht es da zu.«
    Â»Ich hatte bisher nicht die Zeit …«, entschuldigte sich Wieland.
    Â»Quatsch«, unterbrach ihn Kittel. »Es reicht nicht, Adorno, Foucault und Schiller zu lesen. Das sage ich den Studenten immer wieder. Das Leben! Das Leben müsst ihr kennen! Wie wollt ihr sonst die Penthesilea verstehen?«
    Wieland fand Kittels Ausbruch unpassend.
    Â» Westerwald ist etwas anderes als so eine Verfilmung im Fernsehen«, sagte er.
    Â»Ja, ja. Westerwald «, antwortete Kittel. »Peter Vahlen ist ein wunderbarer Romancier. Aber das Buch geht höchstens bis zur Mitte der zweiten Staffel. Da kommt die Tochter zum Beispiel noch gar nicht richtig vor. Ich sage Ihnen, holen Sie sich den Jubiläums-Schuber mit Staffel eins bis fünf. Das lohnt sich.«
    Wieland nickte. Er packte seine Papiere zusammen und klopfte auf den Ordner, der das vierte Kapitel seiner Arbeit enthielt und den er dem Professor zum Lesen auf den Schreibtisch gelegt hatte. Er ging gerade aus der Tür, als Kittel ihm noch etwas hinterherrief.
    Wieland drehte sich um.
    Â»Das Drehbuch hat übrigens Vahlens Frau geschrieben, die schwierige Witwe.« Dem Doktoranden schien es, als habe der Professor wieder die Stimme des Philosophischen Gärtners imitieren wollen. »Und die Serie spielt – das wissen Sie ja sicher, wenn Sie das Buch gelesen haben – im Westerwald, in Peter Vahlens Heimatort Sehlscheid.«
    Â 
Wer ist Peter Vahlen? (Januar 1967)
    Die Kundgebung hatte bereits angefangen, als Gellmann dazustieß. Er nickte Seeler und Kolpers zu, die weiter vorne auf den Tischen saßen und rauchten. Der Mann hinter dem Pult war ein langhaariger, bebrillter Student der Geschichte. Gellmann hatte ihn schon einmal gesehen. Er konnte nicht reden. Spuckend sprach er vonder »marxistisch-leninistischen Grundordnung«, vom »aufrechten Gang« und von der »Revolution«. Aber nach spätestens drei Sätzen merkte jeder, dass er nichts von all dem begriffen hatte.
    Gellmann sah einige Mädchen beim Eingang stehen
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