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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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die Witwe.
    Das Mädchen stellte zunächst das Buch, das es in der Hand hielt, zurück in das Regal, dann erst wandte es sich ihnen langsam wieder zu. »Montags nicht«, sagte es, als müsste die Witwe Bescheid wissen.
    Alexia setzte sich in einen der Sessel am Fenster, zog ihre überlang wirkenden Arme und Beine an und blickte den Doktoranden weiterhin unverwandt und beinahe unhöflich an. Wieland überlegte, ob sie nicht doch jünger war, als er zuerst gedacht hatte.
    In diesem Moment sah er vom anderen Ende des Raumes eine Frau auf sich zukommen, kaum älter als er. Sie war schmal und ähnlich feenhaft wie das Mädchen, nur wirkte sie auf reifere Art entschlossen. Über dem ärmellosen Kleid trug sie einen breiten Schal. Sie reichte ihm die Hand.
    Wieland räusperte sich. Es fiel ihm schwer, ihr in die Augen zu schauen. Ihre Schönheit irritierte ihn. Er drückte die Tasche an seine Brust, zwang sich, seine Rechte auszustrecken, merkte zu spät, dass sie ihm die Linke gegeben hatte, verdrehte ungeschickt seinen Arm und schrak bei der ersten Berührung gleich wieder zurück.
    Â»Ich beiße nicht«, sagte sie lachend.
    Â»Nein, entschuldigen Sie.« Er schaute unwillkürlich nach derrechten Hand der Frau, die sie offenbar in den Schal gewickelt hatte. Und dann dachte er, dass dort vielleicht gar nichts war.
    Â»Herr Wieland aus Duisburg«, sagte die Witwe mit einem Lachen, als habe er einen Witz gemacht. »Der Herr Doktorand publiziert zu Gellmann und sucht seine Briefe. Also hat er beschlossen, uns zu besuchen.« Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. »Judith, meine Tochter. Und das ist Alexia, meine Enkeltochter.«
    Â»Wieland.« Er hustete. »Entschuldigung. Wieland.« Die plötzliche Gelöstheit der Witwe beunruhigte ihn fast mehr, als die Nähe ihrer schönen Tochter und deren fehlende Hand.
    Â»Judith Gellmann-Vahlen.« Sie lächelte. »Nennen Sie mich Judith.«
    Â»Gellmann?«
    Â»Ich war früher mit Gert Gellmann verheiratet. Wussten Sie das nicht?«
    Â»Ich glaube nicht, dass Herr Wieland die Zeitungen nach Details aus dem Privatleben von Schriftstellern durchsucht«, sagte die Witwe, und er wusste nicht, ob das ironisch gemeint war.
    Â»Herr Wieland hätte ja, wenn er über Gellmann schreibt, davon hören können, dass ich seine Stücke übersetzt habe.«
    Es war nie ganz einfach, über lebende Autoren Informationen zu finden. Aber sicher musste Wieland irgendwo gelesen haben, dass Gellmann mit Vahlens Tochter zusammen gewesen war. Er hatte nicht aufgepasst, weil es in der Biographie des Dramatikers weit nach dem Untersuchungszeitraum von Wielands Dissertation liegen musste. Aber warum hatte Gellmann es ihm nicht selbst gesagt? Hatte er wirklich, wie er Wieland gegenüber mehrfach versichert hatte, den Kontakt zu den Vahlens und sogar zu seiner Exfrau vollständig verloren?
    Gellmann war ein attraktiver, erfolgreicher Mann. Er hatte viele Frauen gehabt, das wusste Wieland. Und er wunderte sich, wie sehr es ihn ärgerte, dass Gellmann nicht einmal davor zurückgeschreckt war, die so viel jüngere Tochter seines Freundes zu verführen. Eindeutigmusste Judith der Grund für das Ende der Freundschaft gewesen sein.
    Â»Sie übersetzen?«, fragte er.
    Judith hatte sich zu ihrer Tochter hinuntergebeugt, um ihr etwas zuzuflüstern. Wieland beobachtete, wie sie den rechten Arm geschickt hinter ihrem Oberkörper verbarg. Die Eleganz ihrer Bewegungen berührte ihn.
    Â»Früher habe ich übersetzt«, sagte sie, als sie sich wieder aufrichtete. »Ins Englische. Heute tue ich gar nichts mehr.« Sie blickte ihre Mutter an.
    Â»Judith hat mit uns in den USA gelebt. Sie ist zweisprachig aufgewachsen. Damit hätte sie eine ganze Menge anfangen können«, sagte Hella Vahlen, mehr zu ihrer Tochter als zum Doktoranden.
    Der Ton kam Wieland bekannt vor. Seine Mutter hatte während ihrer Besuche im Altersheim auf diese Weise mit seiner Großmutter gesprochen. Nur einmal hatte er versucht, für seine Oma Partei zu ergreifen. Aber sofort wandten sich beide Frauen gegen ihn. Erst viel später war ihm klar geworden, dass ihre Feindschaft vor allem Verbundenheit bedeuten musste, eine gemeinsame Stärke, die ihn, den Sohn und Enkel, zum Außenstehenden machte.
    Â»Das interessiert den Mann doch gar nicht, Mama«, sagte Judith. »Sie kommen wegen Gellmanns
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