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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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dann eben nach Koblenz.«
    Die Fahrt war ruhig. Keiner der drei begann ein Gespräch. Gellmann hatte sich auf der Rückbank zwischen seinen Seesack und ein paar Taschen gezwängt. Sie fuhren über Land. Auf den Wiesen grasten Kühe. Einmal, weit weg von jeder Ortschaft, kam ihnen ein Pferdegespann entgegen. Auf dem Bock saß ein alter Mann mit verkniffenem Gesicht.
    Die Straßen wurden kurviger, die Felder überschaubarer, die Landschaft war im weichen Nachmittagslicht von einer so malerischen Schönheit, dass man sie, wie Gellmann meinte, kaum beschreibenkonnte, ohne pathetisch zu werden. Er blickte abwechselnd auf die Taunushügel und auf Hellas schmalen Nacken. Ihr Hals wirkte weich, zerbrechlich, das Haar hatte sie locker am Hinterkopf festgesteckt, und in den einzelnen Strähnen fingen sich Sonnenstrahlen. Er stellte sich vor, wie sie es vor dem Zubettgehen löste. Er wünschte, er könnte daran riechen.
    Sie waren nur wenige Kilometer über Anspach hinausgekommen, als das Auto plötzlich anfing zu holpern. Hella klammerte sich an ihren Sitz. Vahlen begann laut zu fluchen. Kurz vor dem Graben brachte er den Wagen zum Stehen.
    Gellmanns Schreck dauerte nur kurz. Sobald wieder Stille war, rief er nach vorn: »Immer mit der Ruhe. Der Reifen ist geplatzt. Das ist doch kein Unglück. Ich mach schnell den Ersatzreifen drauf.«
    Â»Das war der Ersatzreifen, du Klugscheißer«, schnauzte Vahlen nach hinten.
Sehlscheid 2000 (April 2007)
    Für die drei Tage, die Andreas Wieland in Sehlscheid verbringen wollte, hatte er sich im Gasthof Brink eingemietet. Das Hotel war ein hellgestrichener, hoher Fachwerkbau, wie sie in den Romanen Peter Vahlens häufig vorkamen. Wielands einfaches, aber komfortables Zimmer war als einziges belegt. Die Wirtsfamilie pflegte den alten Ruf des Luftkurortes, auch wenn die Kurtaxe, so sagte Frau Brink mit einem Augenzwinkern, längst abgeschafft war.
    Die Wirtin erzählte, dass die anderen Gasthäuser und Restaurants im Ort schon seit zwanzig Jahren von Italienern und Türken betrieben wurden – seit kurzem sogar von Chinesen. Von Zeit zu Zeit kämen Neugierige auf den Spuren von Villa Westerwald in den Ort, aber die meisten zögen bald wieder ab.
    Mehrfach hatte die Gemeinde in Neuerungen investiert. Zuletzt habe man die Wanderwege zu Biosphären-Erkundungspfaden ausgebaut.Das Wellenbad am Hahn sei schon vor Jahren zu einem Erlebnisbad erweitert worden, jetzt sei es geschlossen und warte auf Investoren. Inzwischen böten natürlich die großen, außerhalb der Ortschaften gelegenen Hotels alle Wellness- und Entschlackungs-Programme an. Abgesehen von alleinerziehenden Frauen, denen die Kasse das Mutter-Kind-Heim am Rande von Sehlscheid bezahle, mache trotzdem so gut wie niemand mehr Urlaub im unteren Westerwald.
    Der Doktorand fühlte sich schon nach der ersten Nacht in dem kleinen Hotelrestaurant zu Hause. Gleich morgens unternahm er einen längeren Spaziergang durch das Dorf. In der hellen Frühlingssonne begannen seine empfindlichen Augen zu tränen. Aber er genoss diese leichte Irritation.
    Er hatte sich absichtlich ein paar Tage Zeit genommen für die Forschungsfahrt. Das Hotel war nicht teuer, und er hatte gemeint, ein wenig Erholung und Abstand nötig zu haben. Er hatte durchaus damit gerechnet, dass die Suche nach Gellmanns Briefen in Vahlens Nachlass einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Aber er hätte nie gedacht, dass der Besuch bei der Witwe eine solche Herausforderung darstellen könnte.
    Bisher schienen die meisten Menschen, die Wieland persönlich aufsuchte, nur darauf gewartet zu haben, dass er, ein Unbekannter, ihre privaten Briefe las und sie ausfragte über die Vergangenheit. Die Geschichten, die er zu hören bekam, erschienen ihm oft geschönt. Ohne dass es auf ihn wie eine Absicht wirkte, vertauschten die Leute in ihrer Erinnerung die Rollen und verteilten die Schuldigkeiten neu. Aber gerade das mühsame Abgleichen seiner Forschungsergebnisse mit ihren Erinnerungen erwies sich als einträglich für seine Arbeit.
    Erst nachdem er vor einigen Monaten eine der frühen Geliebten Gert Gellmanns angerufen hatte, waren ihm zum ersten Mal Zweifel an dieser Arbeit gekommen. Die Frau, eine Musiklehrerin aus Frankfurt, war wohl sehr verliebt in Gellmann gewesen. Sie sprach mit dünner, wie gesprungen wirkender Stimme, als wäre das allesnicht lange her. Dann sagte sie, dass
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