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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U
Autoren: Wilhelm Matthießen
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Der geheimnisvolle Brief
     
     
    Woher ich diese Geschichte oder
diese Geschichten weiß? Ausgedacht habe ich mir sie gewiss nicht. Wer
könnte sich überhaupt so etwas ausdenken? Nein, das alles hat mir der
Herr Behrmann erzählt. Und nun wollt ihr natürlich gleich wissen, wer
der Herr Behrmann ist. Aber da müsst ihr noch ein bisschen Geduld haben.
Immer hübsch eines nach dem anderen. Und ihr werdet den Herrn Behrmann
schon kennenlernen. Vorläufig ist er ein paar Tage bei mir zu Besuch. Und
manchmal kommt er dann in meine Stube, wo ich am Schreiben bin, seine kurze
Pfeife qualmt, und ich reiche ihm die letzten Seiten, die ich geschrieben habe.
    „Hier, lies mal,
Behrmann, ob da auch alles richtig ist...“
    Ja, und dann nimmt Herr
Behrmann die Blätter, liest und raucht dabei. Ein Blatt nach dem andern
legt er wieder hin, nickt nur und sagt nichts. Das ist mir auch das Liebste.
Denn dann weiß ich, dass alles seine Richtigkeit hat, was ich
geschrieben. Aber oft sagt er auch: „Du, diese Seite schreib lieber noch
einmal! Denn die Sache war doch so und so! Ich habe dir doch alles genau
erzählt! Dass ihr Dichter auch immer etwas dabeimachen müsst!“
    Und dann erzählt
er’s mir noch einmal. Ja, und dann sehe ich, dass das, was der Herr
Behrmann erzählt, der doch wirklich dabeigewesen ist, wirklich viel schöner ist als das, was ich dazugeschrieben habe. Ich
habe es mir dann auch ganz abgewöhnt, das Drumherumerzählen .
Und Herr Behrmann ist bald ganz zufrieden gewesen. Aber wie ich nun alles so
genau aufgeschrieben habe, da hatte ich natürlich auch die Stadt genannt,
in der die Sache geschehen ist. Aber das war nun dem Herrn Behrmann wieder
nicht recht.
    „Nein, das musst du
auslassen“, sagte er, „denn was denkst du wohl – die
Schulkinder dort würden vor Stolz ja platzen, und weiß Gott,
vielleicht kämen die Leute her und machten aus der wunderbaren alten
Schule ein Museum oder so was... Jetzt aber weiß eigentlich noch kein Mensch,
nur die Schulkinder und die Lehrer dort, dass es diese alte Schule
überhaupt gibt, und die sagen’s gewiss
nicht weiter; die sind froh, dass sie diese Schule haben...“
    Ja, es stimmt schon: das ist
die schönste alte Schule, die jemals in einer großen Stadt am Rhein
gewesen ist, und dazu in einer ganz neumodischen Stadt. Freilich hat die Schule
in der Altstadt gelegen, und weil diese Altstadt gar nicht so berühmt war
wie etwa Alt-Frankfurt, ist auch so leicht kein Fremder hingekommen. Diese
Altstadt gehörte ganz den Leuten, die dort wohnten, und den Kindern. Und
die Schule war nun mal ganz und gar den Kindern. Früher, schon länger
als hundert Jahre ist es her, da war die Schule, oder wenigstens ein Teil von
ihr, ein Kloster. Im Turnsaal sieht man noch heute an der Decke Bilder vom heiligen
Antonius, wie er den Fischen predigt, und kletterst du an der mittleren
Kletterstange bis oben hinauf, dann sperrt gerade über dir ein
mächtiger Haifisch das Maul auf. Die Klosterkirche steht heute noch da,
und auch die alten Klostergebäude. Aber darin wohnt jetzt der Pfarrer mit
seinen Kaplänen. Man braucht nur vom Schulhof über die Mauer zu
klimmen, dann ist man da, - in dem Gärtchen davor.
    Dies Gärtchen ist ganz
verwildert. Und zwischen Weißdorn und Holunderbäumen stehen, aus
Stein gehauen und halb von Efeu umwuchert, riesengroße steinerne
Heiligenfiguren. Und von dem wilden Gärtchen aus kann man in einen Keller
hinab – die Kellertüre ist zwar längst zerbrochen, aber man
findet das Loch nicht so leicht, weil es ganz mit wildem Wein bewachsen ist.
Und dann geht man eine verfallene Treppe hinab und kommt durch finstere
Gänge in schwarze Gewölbe; darin hausen Fledermäuse und allerlei
anderes Nachtgetier, und mitunter findet man sogar einen bleichen
Totenschädel. Auch in der Schule selbst gab es noch alte Gänge, in
denen hallte es so hohl, wenn man hindurchging, und an den gekalkten
Wänden hingen die düsteren Bilder der alten Fürsten und
Mönche. Hinter den Bildern aber und unter den brüchigen
Bretterfußböden raschelten die Mäuse. Auch in den Klassenzimmern
piepte es, wenn die Kinder ganz stille waren, manchmal unter den Dielen, und
oft liefen die Mäuse unter das Pult und vor den Bänken herum und
suchten sich die Brotkrümchen, die die Kinder übriggelassen hatten.
Erst wenn der Lehrer mit dem Stock auf das Pult oder an die Tafel schlug,
flitzten sie weg in ihre Löcher.
    Und jetzt schlug der Lehrer
auch wieder auf den schwarzen Holzdeckel, dass
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