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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U
Autoren: Wilhelm Matthießen
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gewesen, aber je weiter es auf den Abend und die Dämmerung
ging, desto mehr zogen sich in dem immer schwärzer vom Rhein her wehenden
Westwind die schwarzen Wolken zusammen, und als in der Altstadt die Laternen
aufbrannten, sprühte schon ein feiner Regen über die Dächer und
in die engen Straßen. Bald wurden die Tropfen dicker und immer dicker,
und schließlich regnete es in Strömen. Wie leergefegt waren die
Straßen, und die wenigen Leute, die noch da und dort gingen, hielten die
Regenschirme gegen den steif wehenden Wind fest in den Fäusten, dicht
über den Köpfen.
    „Besser konnt ’ es ja gar nicht kommen!“ sagte Silli , „jetzt sieht uns keine Katze!“
    Arm in Arm mit ihrem Bruder Boddas und Mala ging sie durch
ein windiges glitschiges Gässchen dem Rhein zu. Einen Schirm hatte nicht
mal das Mädchen. Räuber und Soldaten tragen doch keine Schirme! Aber
die Kapuzen ihrer Regenmäntel hatten sie über die Köpfe gezogen
bis tief in die Gesichter hinein.
    „Ob Knöres und Döll da sind?“ meinte Mala .
    „Ach, die werden zu Hause
schon eine Ausrede gehabt haben, genau wie wir auch.“
    Wieder schwiegen sie. Und je
näher sie dem Rhein kamen, desto schwerer mussten sie gegen den Wind
ankämpfen .. Endlich, die Uhr von Sankt Lambertus
schlug halb sechs, standen sie an dem Strom, und der wälzte sich
düster im sprühenden Regen unter dem abenddunklen Himmel hin.
    „Laderampe 87“,
sagte Boddas , „man sieht ja kaum mehr die Hand
vor den Augen.“
    „Hier ist es“,
meinte Silli .
    „Nein, hier ist 92... ich
könnte die Nummern in stockdüsterer Nacht finden...“
    Silli packte plötzlich die
beiden an den Armen. „Drüben steht ein Polizist“,
flüsterte sie.
    Ja, nun sahen sie es auch ganz
deutlich. Gerade vor der Gasse, in der die Villa Jück lag, sahen sie den Tschako im Schein einer Laterne blitzen. Sie blieben stehen
und sahen sich an.
    „Wie sollen wir jetzt
hineinkommen?“ fragte Boddas .
    „Vielleicht...“
– Mala bekam vor Schrecken ganz große
Augen, „weiß Gott, vielleicht hat das Rote U ganz genau dasselbe
getan, was wir tun wollten. Er hat der Polizei geschrieben, hat geschrieben:
Heut Abend um sechs Uhr kommt die Altstadtbande in die Villa Jück , - ja, und nun steht schon der Polizist
da...“
    Jetzt war es klar, warum das
Rote U sie gerade an die berüchtigte Villa Jück bestellt hatte! Mit der Villa Jück hatte die
Polizei ja schon vor zwei Jahren mal eine Geschichte gehabt. Diese Villa war
nämlich ein uraltes Häuschen, in dem, soweit die Kinder
zurückdenken konnten, nie ein Mensch gewohnt hatte. Immer waren die
Fensterläden geschlossen, geschlossen die dicke eichene Türe,
über der ein Esel aus Stein eingemeißelt war. Doch dann kam eine Zeit,
da hörten die Nachbarn mitunter aus dem alten Hause Singen und Lachen,
Gläserklirren und Musik wie von einer Mund- oder Ziehharmonika. Zuerst
gaben sie nicht weiter Acht darauf. Aber als sie dann immer öfter das
Gejohle hörten und zwischen den Ritzen der Läden her hellen Lichtschein
sahen, gingen sie zur Polizei. Die beobachtete das finstere Haus eine Weile,
und eines Abends packte sie zu; so schnell, dass keiner sich mehr aus dem
Staube machen konnte. Da kam’s denn heraus: eine ganze Bande junger
Burschen hatte jede Nacht in dem öden Häuschen ihre
Zusammenkünfte. Dann tranken sie den Wein und die Liköre, die sie
allenthalben in nächtlichen Ladeneinbrüchen zusammengestohlen hatten,
rauchten gestohlene Zigarren und Zigaretten; mit gestohlenen Kleidern hatten
sie sich feingemacht, und bald brachten sie auch Mädchen mit, denen
verteilten sie Samt und Seide, silberne Ketten und goldene Ringe in diesen
lustigen Nächten. Und eben weil’s immer so lustig herging in ihrem
Räuberquartier, nannten sie das leere Haus unter sich nur noch die Villa Jück ... Denn ‚ Jucks kriegen’, das heißt in jener Stadt soviel wie Freude kriegen...
    Und nun hatte das Rote U sie
gerade in diese unheimliche Villa Jück bestellt!
Freilich, immer hatten sie schon einmal vorgehabt, dort einzusteigen. Denn so
etwas Gruseliges wie dies alte Haus gab’s ja in der ganzen Stadt nicht
mehr! Aber damals hatte die Polizei neue Schlösser an alle Türen und
eiserne Stäbe vor die Fenster machen lassen. Und Boddas und Mala hatten schon hundertmal um das Haus
geschnüffelt, aber nie ein Loch gefunden, durch das sie hätten
hineinschlüpfen können. Doch vielleicht ließ sich etwas von der
Hofseite her machen? Das wollten sie heute versuchen. Denn
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