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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U
Autoren: Wilhelm Matthießen
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Türe auf. Und da standen sie nun.
    „Den Kopf
könnt’ man mir abschlagen...“, dachte Boddas ,
„... hier sag’ ich nun gar nichts mehr...“
    Denn nur ein Teppich lag in dem
großen Zimmer, und auf dem Teppich waren fünf mächtige
Indianerzelte aufgebaut, in jeder Ecke eines, und eines in der Mitte. Und vor
dem mittleren stand in feierlicher Haltung ein kleiner Indianerhäuptling
in vollem Kriegsschmuck. Rot war sein Gesichtchen bemalt, den Medizinbeutel und
die Friedenspfeife hatte er umhängen, im Gürtel Dolch und Tomahawk...
In der Hand hielt er seinen Schild, einen schwarzen Schild. Und auf dem
schwarzen Schild war ein riesiges Rotes U gemalt...

    Und nun nestelte das Rote U die
Friedenspfeife vom Halse und winkte die fünfe näher zu sich heran.
    Aber keiner rührte sich...
    Also der Ühl ,
der arme kleine Bernhards-Junge, war das Rote U gewesen! Das Rote U, das nun in
seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit vor ihnen stand! Kaum wagten sie, ihn
recht anzusehen. Denn sie schämten sich plötzlich alle ein bisschen,
und vielleicht am meisten darüber, dass sie die Sache nicht schon
längst gemerkt hatten.
    Waren die Zettel des Rotes U nicht meist in ihren Büchern gewesen? Und
dahinein konnte sie der Lehrer doch nicht gut gelegt haben! Und wussten sie
nicht ganz genau, dass die Entschuldigungen für den kleinen Ulrich –
denn der schwächliche Junge hatte oft in der Schule gefehlt – immer
mit der Schreibmaschine getippt waren? Und wer von ihren Eltern hatte eine
Schreibmaschine? Doch nur der Baumeister Boden und dann – der
Landgerichtsrat Bernhard!
    Da fiel dem Boddas denn auch sofort der Sonntagsausflug nach Angermund ein. Der Ulrich hatte
damals von den Verbrechern aus der Villa Jück erzählt, und als dann der neue Befehl des Roten U kam – da hatten
sie wieder nichts gemerkt! Und sie waren doch sonst so schlau! Und
überhaupt: mit welchem Buchstaben fing der Name Ulrich an? ... Da hatten
sie also einmal eine schöne Lehre bekommen!
    Und nun sprach das Rote U
– sie hörten es wie aus weiter Ferne zuerst, aber gleich horchten
sie auf:
    „Meine liebe weiße
Schwester, die Blume der Prärien, und meine berühmten weißen
Brüder mögen näher treten! Denn das Rote U hat Verlangen danach,
mit ihnen die Pfeife des Friedens zu rauchen!“
    Ganz scheu sahen sie den
kleinen Kameraden an. Konnte der sprechen! Das war ja der richtige Winnetou!
Und noch viel mehr sagte das Rote U zu seinen neuen Freunden, aber diese
berühmten Bleichgesichter hatten bald alles vergessen. Und gar nicht lange
dauerte es, da war eines der Zelte in der behaglich durchwärmten Diele
aufgeschlagen, ein anderes auf dem Speicher, das dritte im Fremdenzimmer, und in
der Wäschestube das vierte. Nur der Wigwam des Roten U war an dem alten
Orte geblieben.
    Und treppauf, treppab schlichen
verwegene Späher, die Kriegsbeile in der Faust. Dann tobten sie wieder in
wilder Horde das Stiegenhaus donnernd hinab, und das sonst so stille Haus
hallte wider von schauerlichem Angriffs- oder Siegesgeheul.
    Doch der Landrichter und
Ulrichs Mutter ließen die Kinder gewähren. Erst als sich ein Lasso
in dem Kronleuchter verfing und zugleich dem Dienstmädchen ein Pfeil in
dem dichten braunen Haar stecken blieb, mussten die
Friedenspfeifen geraucht werden. Eigentlich waren es ja Friedenszigarren, und
die Zigarren waren sogar aus Schokolade. Aber das machte nichts. Sie schmeckten
doch...
    Und erst recht schmeckte dann
die Weihnachtsgans. Doch sie war noch nicht gegessen, da hatten sich die
fünfe bereits mit ihrem Häuptling, dem Roten U, für den
nächsten Nachmittag wieder verabredet zu neuem Spiel.
    Und nun stampften sie durch den
knirschenden Schnee, beladen mit ihren Geschenken und auf den Schultern die
zusammengerollten schweren Zelte, durch die stille Weihnacht heim.
    „Ich habe schon Angst
gehabt“, sagte Silli , „dass einer von
euch wieder der Räuberhauptmann und der oberste Häuptling sein
wollte...“
    Mala schaute sie groß an.
„Wieso? Die ganze Zeit ist das Rote U unser Hauptmann gewesen, und wir
haben keine Ahnung davon gehabt – und nun kann er es erst recht bleiben!
Das ist doch klar wie Buttermilch! Howgh !“
    „Überhaupt auf diese
Idee zu kommen!“ sagte Boddas , „... das
soll ihm mal einer nachmachen! Nein, dem haben wir schwer Unrecht getan... So’n Kerlchen – wer hätt’ das
gedacht!“
    „Da könnt ihr langen
Laster alle nicht gegen an!“ lachte Silli ,
„sieht aus so schwach und krank, dass man meint, man
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