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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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jetzt um die Damen, wenn ihre Schwägerin es nicht mehr tut?«, fragte Wieland.
    Â»Die können für sich selber sorgen«, rief die Dicke. »So fein sind die gar nicht. Die kommen ja hier aus der Gegend, auch wenn sie immer so tun, als kämen sie aus Amerika oder wer weiß woher. Es gibt eben solche und solche.«
    Zurück auf der Straße lief Wieland langsam den Hügel herauf zu seinem Gasthof. Er machte Fortschritte, dachte er zufrieden. Zumindest ließ er sich nicht aus dem Konzept bringen. Die Erforschung von Gegenwartsliteratur, die Arbeit mit lebendigen Autoren oder zumindest deren direkten Erben erforderte eben andere Mittel als die klassische Wissenschaft. Es war mehr Feingefühl als Fleißarbeit gefragt. Und in manchen Fällen brauchte es einfach Zeit.
Stumpf (August 1874)
    Johann Georg Vahlen lag noch im Bett, als Irma in sein Zimmer kam. Die Vorhänge waren zur Hälfte zugezogen. Von draußen drang das Lachen der Kutschersöhne herein. Schnapp bellte übermütig.
    Irma stellte das Glas Milch für ihren Mann auf den Nachttisch. Die dunkle, glatte Haut seines Oberkörpers war zu sehen, erst am Hals ging sie in das aufgeriebene Rot eines Trinkergesichts über. Seine Augen schienen noch ganz frei von Wut. Das zerlegene Haar, der Geruch nach Schlaf und Nacktheit reizten Irma, ihn zu berühren.
    Â»Lass das«, sagte er leise, als sie sich über ihn beugte. Sie richtete sich wieder auf, fuhr aber mit der Hand langsam über das Laken, wo es seinen Bauch bedeckte. »Irma …«, sagte er kaum hörbar, und es erinnerte sie an den Anfang, als sie nichts hatte falsch machen können.
    Das Paar hatte sich nach den Flitterwochen in Baden-Baden zunächst in einem kleinen Haus an der Rheinpromenade von Koblenz niedergelassen. Aber nach der Krise von 1873 liefen die Geschäfte schlecht. Tagelang strich Johann Georg Vahlen mit finsterem Gesicht über die Flure und sprach kaum ein Wort. Dann wieder lud er Freunde ein, ging aus und kehrte erst in der Nacht zurück. Der Onkel versetzte ihn schließlich in sein neues Blechwalzwerk in Arlich. Ein letztes Mal großzügig, wie Sebastian Gotthelf Vahlen mit ernstem Blick betonte, überließ er dem Neffen sein hübsches Jagdhaus im Aulbachtal. Und so hatte Irma, kaum dass sie sich an den Hausstand und die Angestellten in Koblenz gewöhnt hatte, wieder ganz in die Nähe ihres Heimatortes Sehlscheid zurückkehren müssen.
    Sie spürte Vahlen unter der Decke weich und locker werden und wollte sich schon zu ihm legen. Doch dann verkrampfte sich sein ganzer Körper. Er warf sich herum, fiel aber wieder auf den Rücken. Irma schreckte zurück. Unter dem Laken zeichnete sich jetzt deutlich einer der Stümpfe ab.
    Es gelang ihr nicht, den Blick abzuwenden. Ihr war schwindelig. Vahlen selbst hatte nie über den Unfall in der Fabrik gesprochen. Nur einmal ganz am Anfang hatte sie das Walzwerk von innen gesehen, die dunklen Öfen mit den glühenden Öffnungen, das funkensprühende Metall. Männer in Lederschürzen, mit Helmen und Eisenstangen, bewegten die Brammen zu den Pressen, drehten mannshohe Stahlräder, schoben die Halbzeuge an Ketten durch die Halle.
    Es war während des Kontrollgangs passiert. Das wusste sie von der Köchin. Vahlen hatte sicher getrunken, denn es kam selten vor, dass er nicht trank. Sein Rock war nachlässig mit einem Kittel geschützt, das Haar am Ansatz versengt von der Hitze. Oft hatte sie sich lustig gemacht über die feinen, nach Rauch und Leim riechenden Löckchen, die sie abends auf seiner Stirn entdeckte. Er schimpfte über sie. Aber meistens konnte sie ihn doch zum Lachen bringen.
    Der Aufseher lief mit Direktor Vahlen zwischen den Maschinen hindurch. Er wies den jungen Herrn auf die Mängel an der Hauptwalze hin. Ein Bolzen, ein verbogener Knüppel. Grien war an allem schuld, dem war nicht zu trauen, sagte die Köchin. Ein stiller, unberechenbarer Mann aus dem Osten. Die dritte Schicht war gerade an die Arbeit gegangen. Plötzlich habe man Grien schreien hören. Dann den Herrn Direktor und dann wieder Grien. Nie zuvor habe man einen Menschen so schreien hören, hatte die Köchin gesagt. Dabei war sie gar nicht dabei gewesen.
    Trotz seines Arms hatte man Grien gleich verhaftet. Vahlen selbst entlastete ihn später. Niemand wusste genau, wovon. Aber da war der Aufseher schon verblutet. Die Köchin sagte, was
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