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Schlagschatten

Schlagschatten

Titel: Schlagschatten
Autoren: Paul Auster
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um die Bar, und im Hintergrund hört man Geplauder und das Klirren von Besteck und Geschirr. Das Lokal sieht teuer aus mit der Holztäfelung an den Wänden und den weißen Tischtüchern, denkt Blue, und er nimmt sich vor, seine Rechnung so niedrig wie möglich zu halten. Es sind noch Tische frei, und Blue nimmt es als gutes Omen, dass er einen Platz in Sichtweite Blacks bekommt, nicht aufdringlich nahe, aber nicht so weit entfernt, dass er nicht beobachten kann, was er tut. Black bestellt zwei Menüs, und drei oder vier Minuten später lächelt er, als eine Frau durch den Raum geht, sich seinem Tisch nähert und ihn auf die Wange küsst, bevor sie sich setzt. Die Frau ist nicht schlecht, denkt Blue. Ein wenig zu mager für seinen Geschmack, aber gar nicht übel. Dann denkt er: Jetzt beginnt der interessante Teil.
    Unglücklicherweise wendet die Frau Blue den Rücken zu, sodass er während des Essens ihr Gesicht nicht beobachten kann. Während er sein Salisbury-Steak verzehrt, überlegt er sich, dass vielleicht seine erste Ahnung richtig war und dass es sich schließlich doch um eine Ehegeschichte handelt. Er stellt sich schon seinen nächsten Bericht vor, und es bereitet ihm Vergnügen, die Sätze zu formulieren, die er verwenden wird, um zu beschreiben, was er jetzt sieht. Da nun eine zweite Person in den Fall verwickelt ist, weiß er, dass gewisse Entscheidungen getroffen werden müssen. Zum Beispiel: Soll er sich weiter an Black halten oder seine Aufmerksamkeit der Frau zuwenden? Das könnte möglicherweise die Dinge ein wenig beschleunigen, aber gleichzeitig könnte es bedeuten, dass Black die Gelegenheit erhielte, ihm zu entkommen, vielleicht für immer. Mit anderen Worten, ist die Begegnung mit der Frau vielleicht ein Tarnmanöver? Ist sie ein Teil des Falles oder nicht, ist sie eine wesentliche oder eine zufällige Tatsache? Blue denkt eine Weile über diese Fragen nach und kommt zu dem Schluss, dass es zu früh ist, etwas zu sagen. Ja, es könnte das eine sein, sagt er sich. Aber es könnte auch das andere sein.
    Als etwa die halbe Mahlzeit vorüber ist, scheint sich die Lage zum Schlechteren zu wenden. Blue bemerkt, dass Black die Frau tieftraurig anschaut, und ehe er es sich versieht, scheint die Frau zu weinen. Jedenfalls schließt Blue das aus der plötzlichen Veränderung ihrer Körperhaltung. Sie lässt die Schultern hängen und senkt den Kopf, bedeckt das Gesicht mit den Händen, ein leichter Schauder läuft ihr über den Rücken. Sie könnte auch einen Lachanfall haben, sagt sich Blue, aber warum würde Black dann so elend dreinsehen? Er sieht so aus, als hätte man ihm gerade den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Frau wendet das Gesicht von Black ab, und Blue sieht sie kurz im Profil: Zweifellos Tränen, denkt er, als er beobachtet, wie sie ihre Lider mit einer Serviette betupft, und einen Fleck nasser Wimperntusche auf ihrer Wange glänzen sieht. Sie steht mit einem Ruck auf und geht zur Toilette. Blue hat wieder eine unbehinderte Sicht, und als er diese Traurigkeit in Blacks Augen sieht, diese völlige Niedergeschlagenheit, beginnt er ihm beinahe Leid zu tun. Black starrt in Blues Richtung, aber er sieht offensichtlich nichts, und dann schlägt er im nächsten Moment beide Hände vors Gesicht. Blue versucht zu erraten, was vorgeht, aber es ist unmöglich, es zu wissen. Es hat den Anschein, dass es zwischen den beiden aus ist, denkt er, es fühlt sich an, als wäre etwas zu Ende gegangen. Und doch, es konnte trotz allem nur ein Streit sein.
    Die Frau kehrt an den Tisch zurück und sieht ein wenig besser aus. Die beiden sitzen einige Minuten da, ohne etwas zu sagen, und rühren die Speisen nicht an. Black seufzt ein- oder zweimal und blickt ins Leere, und schließlich lässt er die Rechnung kommen. Blue bezahlt ebenfalls, und dann folgt er den beiden aus dem Restaurant hinaus. Er sieht, dass Black seine Hand auf ihren Arm gelegt hat, aber das kann auch nur ein Reflex sein, sagt er sich, und bedeutet wahrscheinlich nichts. Sie gehen schweigend die Straße hinunter, und an der Ecke winkt Black ein Taxi heran. Er öffnet der Frau die Tür, und bevor sie einsteigt, berührt er sehr sanft ihre Wange. Sie antwortet mit einem tapferen kleinen Lächeln, aber die beiden sagen noch immer kein Wort. Sie setzt sich auf den Rücksitz, Black schließt die Tür, und das Taxi fährt davon.
    Black geht ein paar Minuten hin und her, bleibt kurz vor dem Schaufenster eines Reisebüros stehen, um ein Plakat der
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