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Schlagschatten

Schlagschatten

Titel: Schlagschatten
Autoren: Paul Auster
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grasbewachsenen Friedhof, um dort eine Weile zu sitzen und die Bronzestatue Henry Ward Beechers zu betrachten. Zwei Sklaven halten Beechers Beine umklammert, als wollten sie ihn bitten, ihnen zu helfen, sie endlich zu befreien, und in die Ziegelmauer dahinter ist ein Porzellanrelief Abraham Lincolns eingelassen. Blue kann nicht umhin, sich durch diese Bilder angesprochen zu fühlen, und jedes Mal, wenn er zu dem Friedhof kommt, füllt sich sein Kopf mit edlen Gedanken über die Würde des Menschen.
    Nach und nach wird er verwegener und entfernt sich weiter von Black. Es ist 1947, das Jahr, in dem Jackie Robinson zu den Dodgers kommt, und Blue verfolgt seinen Fortschritt, er denkt an den Friedhof und weiß, dass es um mehr geht als nur um Baseball. An einem hellen Dienstagnachmittag im Mai beschließt er, einen Ausflug nach Ebbetts Field zu machen, und als er Black in seinem Zimmer in der Orange Street zurücklässt, wie üblich mit Feder und Papieren über seinen Tisch gebeugt, fühlt er keinen Grund zur Sorge; er ist sich sicher, dass alles noch genauso sein wird, wenn er zurückkommt. Er fährt mit der U-Bahn, mischt sich unter die Menge, gibt sich ganz dem Gefühl des Augenblicks hin. Als er im Stadion seinen Platz einnimmt, fallen ihm die klaren Farben um ihn herum auf: das grüne Gras, die braune Erde, der weiße Ball, der blaue Himmel darüber. Jedes Ding unterscheidet sich, ganz für sich und scharf umrissen, von jedem anderen Ding, und die geometrische Einfachheit des Musters beeindruckt Blue mit ihrer Kraft. Während er das Spiel verfolgt, fällt es ihm schwer, den Blick von Robinson abzuwenden, ständig fühlt er sich von der Schwärze seines Gesichts angezogen, und er denkt, es gehört Mut dazu zu tun, was er tut, so allein zu sein vor so vielen Fremden, von denen zweifellos die Hälfte wünscht, er wäre tot. Als das Spiel seinen Lauf nimmt, ertappt sich Blue dabei, dass er zu allem, was Robinson tut, Beifall brüllt, und als der Schwarze im dritten Inning um ein Mal vorrückt, er springt auf, und später, im siebenten, als Robinson einen Zwei-Mal-Lauf macht, schlägt er tatsächlich dem Mann neben ihm vor Freude auf den Rücken. Die Dodgers schaffen es im neunten mit einem Aufopferungsflugball, und als Blue nach Hause fährt, wird ihm bewusst, dass er nicht ein einziges Mal an Black gedacht hat.
    Aber Ballspiele sind nur der Anfang. An gewissen Abenden, wenn Blue sicher ist, dass Black nirgendwohin gehen wird, trinkt er ein Bier oder zwei in einer nahe gelegenen Bar und genießt die Unterhaltungen mit dem Barmixer, dessen Name Red ist und der Green, dem Barmixer aus dem so weit zurückliegenden Fall Gray, erstaunlich ähnlich sieht. Eine schlampige Nutte namens Violet ist oft dort, und ein- oder zweimal macht Blue sie beschwipst genug, um in ihre Wohnung gleich um die Ecke eingeladen zu werden. Er weiß, dass sie ihn mag, denn sie lässt ihn nie bezahlen, aber er weiß auch, dass es nichts mit Liebe zu tun hat. Sie nennt ihn Liebling, und ihr Fleisch ist weich und füllig, aber immer wenn sie einen Drink zu viel hat, fängt sie an zu weinen, und dann muss Blue sie trösten, und insgeheim fragt er sich, ob es die Mühe wert ist. Seine Schuldgefühle gegenüber der zukünftigen Mrs. Blue sind jedoch nur sehr flüchtig, denn er rechtfertigt seine Besuche bei Violet, indem er sich mit einem Soldaten im Krieg in einem anderen Land vergleicht. Jeder Mann braucht ein wenig Trost, besonders wenn schon morgen seine Stunde schlagen kann. Und außerdem ist er nicht aus Stein, sagt er sich.
    Meistens geht Blue jedoch an der Bar vorbei und in das mehrere Häuserblocks entfernte Kino. Nun da der Sommer kommt und die Hitze in seinem kleinen Zimmer unbehaglich wird, ist es erfrischend, in dem kühlen Kino zu sitzen und Filme anzuschauen. Blue mag Filme, nicht nur wegen der Geschichten und der schönen Frauen, sondern auch wegen der Dunkelheit in den Kinos und weil die Bilder auf der Leinwand irgendwie den Gedanken in seinem Kopf gleichen, wenn er die Augen schließt. Auf die Art der Filme kommt es ihm nicht so sehr an. Es ist ihm mehr oder weniger gleichgültig, ob es sich um Komödien oder Dramen handelt oder ob der Film in Schwarzweiß oder in Farbe gedreht ist, aber er hat eine besondere Schwäche für Filme mit Detektiven, weil da eine natürliche Verbindung besteht, und solche Geschichten fesseln ihn mehr als andere. In diesem Sommer sieht er eine Reihe solcher Filme, und sie gefallen ihm alle: Die Dame im See, Der
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