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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia
Autoren: Stephen King
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verschwinden. Seine Zunge schmeckte wie eine verbrannte Zündschnur.
    Lois folgte seinem Blick. »Rosalie!«, rief sie. »Rosalie, du böser Hund! Was machst du denn da drüben?«
    Der schwarzbraune Beagle, den sie Ralph an ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte, befand sich auf der anderen Straßenseite und stand ( kauerte wäre das bessere Wort gewesen) auf dem Bürgersteig vor dem Haus, wo Helen und Nat gewohnt hatten, bevor Ed übergeschnappt war. Zum ersten Mal in den Jahren, seit sie die Hündin hatten, erinnerte sie Lois an Rosalie Nr. 1. Rosalie Nr. 2 schien ganz allein da drüben zu sein, aber das konnte Lois’ plötzliches Entsetzen nicht vertreiben.
    Oh, was habe ich getan?, dachte sie. Was habe ich getan?
    »Rosalie!«, schrie sie. »Rosalie, komm hier rüber!«
    Die Hündin hörte sie, das konnte Lois sehen, aber sie bewegte sich nicht.

    »Ralph? Was ist da drüben los?«
    »Pst!«, sagte er wieder, und dann sah Lois ein Stück weiter die Straße hinauf etwas, bei dem ihr der Atem stockte. Ihre letzte schwache Hoffnung, dass sich Ralph das alles nur einbildete, dass es eine Art Rückbesinnung auf ihre früheren Erlebnisse sein könnte, verschwand mit einem Mal, denn jetzt hatte ihr Hund Gesellschaft.
    Die sechs Jahre alte Nat Deepneau kam mit einem Springseil über dem rechten Arm zum Ende ihrer Einfahrt herunter und sah die Straße hinunter zu dem Haus, in dem sie einmal gewohnt hatte, woran sie sich allerdings nicht erinnerte, zu dem Rasen, wo ihr Vater, das unbeschriebene Blatt namens Ed Deepneau, einmal ohne Hemd zwischen sich überschneidenden Regenbogen gesessen und Jefferson Airplane gehört hatte, während ein einziger Blutstropfen auf seiner John-Lennon-Brille trocknete. Natalie sah die Straße hinunter und lächelte glücklich, als sie Rosalie sah, die hechelte und sie mit kläglichen, ängstlichen Augen beobachtete.

20
    Atropos sieht mich nicht, dachte Ralph. Er konzentriert sich auf Rosie … und natürlich auf Natalie … und er sieht mich nicht.
    Alles fügte sich mit einer tückischen Perfektion zusammen. Das Haus war da, Rosalie war da, und Atropos war auch da. Seinen Hut trug er weit nach hinten geschoben auf dem Kopf, wodurch er aussah wie ein Sprüche klopfender Reporter in einem B-Film aus den Fünfzigerjahren - möglicherweise einem, bei dem Ida Lupino Regie geführt
hatte. Aber diesmal war es kein Panama mit angebissener Krempe; diesmal war es eine Boston-Red-Sox-Mütze, und die war selbst für Atropos zu klein, weil das justierbare Band an der Rückseite bis ins letzte Loch gezogen worden war. Damit sie dem kleinen Mädchen passte, dem sie gehörte.
    Jetzt brauchen wir nur noch Pete, den Zeitungsjungen, und die Show ist perfekt, dachte Ralph. Die letzte Szene von Schlaflos , oder Das Leben der Kurzfristigen in der Harris Avenue, eine Tragikomödie in drei Akten . Alle verbeugen sich und treten nach rechts von der Bühne ab.
    Dieser Hund hatte Angst vor Atropos, genau wie Rosalie Nr. 1, und der Hauptgrund, weshalb der kleine kahlköpfige Doc Ralph und Lois nicht gesehen hatte, war der, dass er versuchte, sie daran zu hindern wegzulaufen, bevor er bereit war. Und da kam Nat den Bürgersteig entlang zu ihrem liebsten Hund auf der ganzen Welt, Ralphs und Lois’ Rosie. Ihr Springseil
    (drei-sechs-neun Schatz die Gans trank Wein)
    hatte sie über den Arm geschlungen. Sie sah unglaublich schön und unglaublich verwundbar aus in ihrer Matrosenbluse und den blauen Shorts. Ihre Zöpfe wippten.
    Es passiert zu schnell, dachte Ralph. Alles passiert viel zu schnell.
    [Ganz und gar nicht, Ralph! Vor fünf Jahren haben Sie es prima gemacht; Sie werden es jetzt auch prima machen.]
    Das hörte sich nach Klotho an, aber er hatte keine Zeit, sich zu vergewissern. Ein grünes Auto fuhr langsam aus der Richtung des Flughafens die Harris Avenue entlang; es fuhr mit der quälenden Vorsicht, die normalerweise darauf
schließen ließ, dass entweder ein sehr alter oder ein sehr junger Mensch am Steuer saß. Quälende Vorsicht hin oder her, es war zweifellos das Auto; eine schmutzige Membran hing wie ein Leichentuch darüber.
    Das Leben ist ein Rad, dachte Ralph, und ihm wurde bewusst, dass ihm dieser Gedanke nicht zum ersten Mal kam. Früher oder später kommt alles, was man hinter sich gelassen zu haben glaubt, wieder zum Vorschein. Ob gut oder schlecht, es kommt wieder zum Vorschein.
    Rosie unternahm einen weiteren vergeblichen Versuch, die Freiheit zu erlangen, und als Atropos sie
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