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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia
Autoren: Stephen King
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sechzehnjährige Pete Sullivan fuhr.
    Natalie sah das Auto nicht; sie sah zu Lois, deren Gesicht rot und erschrocken war. Plötzlich fiel Nat ein, dass Lois vielleicht gar nicht wegen Rosie schrie, sondern wegen etwas ganz anderem.
    Pete registrierte den laufenden Beagle; das kleine Mädchen sah er nicht. Er schwenkte, um Rosalie auszuweichen, ein Manöver, das damit endete, dass der Ford direkt auf Natalie zufuhr. Ralph konnte zwei ängstliche Gesichter hinter der Windschutzscheibe sehen, als das Auto herumgerissen wurde, und er glaubte, dass Mrs. Sullivan schrie.
    Atropos hüpfte auf und ab und schlug sich auf die Schenkel wie ein Seemann, der einen Hornpipe tanzt.
    [Jaaaa, Kurzer! Dummes Weißhaar! Ich hab dir ja gesagt, ich werd’s dir zeigen!]
    Helen ließ den Laib Brot, den sie trug, in Zeitlupe fallen. »Natalie, PASS AUUUUUUFFF!«, schrie sie.
    Ralph lief los. Wieder hatte er den deutlichen Eindruck, als würde er sich allein kraft seiner Gedanken bewegen. Und als er mit ausgestreckten Händen auf Nat zurannte und das Auto sah, das unmittelbar hinter ihr war, während ihm durch das Leichentuch grelle Sonnenstrahlen in
die Augen fielen, verkrampfte er seinen Geist wieder und sank zum letzten Mal auf die Ebene der Kurzfristigen zurück.
    Er fiel in eine Landschaft, in der abgehackte Schreie ertönten: Der von Helen vermischte sich mit dem von Lois, der sich mit denen der Reifen des Fords vermischte. Und wie der wilde Trieb einer Ranke wand sich der Jubel von Atropos durch alle hindurch. Ralph sah ganz kurz Nats aufgerissene blaue Augen, dann stieß er sie so fest er konnte in Brust und Bauch, sodass sie mit rudernden Händen und Füßen nach hinten flog. Sie landete aufrecht sitzend im Rinnstein und stieß sich den Steiß am Bordstein an, brach sich aber nichts. Von einem fernen Ort hörte Ralph Atropos voller Wut und Fassungslosigkeit kreischen.
    Dann wurde Ralph von dem zwei Tonnen schweren Ford getroffen, der immer noch mit zwanzig Meilen pro Stunde fuhr, und die Geräuschkulisse verstummte unvermittelt. Er wurde in einem langsamen, steilen Bogen in die Höhe und nach hinten geschleudert - ihm kam es jedenfalls im Inneren langsam vor -, der Kühlerschmuck des Fords prägte sich in seine Wange ein wie eine Tätowierung, und sein eines gebrochenes Bein hing schlaff nach hinten. Er konnte noch seinen Schatten sehen, der wie ein X auf dem Asphalt unter ihm dahinglitt; er konnte noch einen Sprühregen roter Tropfen über sich in der Luft sehen und dachte, Lois müsste doch mehr rote Farbe auf ihn gespritzt haben, als er zunächst angenommen hatte. Und er konnte Natalie sehen, die weinend, aber unversehrt am Straßenrand saß … und Atropos auf dem Bürgersteig hinter ihr spüren, wo er die Fäuste schüttelte und vor Wut tobte.

    Ich glaube, für einen alten Tattergreis hab ich es verdammt gut gemacht, dachte Ralph, aber jetzt würde mir wirklich ein Nickerchen guttun.
    Dann landete er mit einem schrecklichen, tödlichen Aufprall auf dem Boden und rollte über die Straße - sein Schädel barst, die Wirbelsäule brach, die Lunge wurde von spröden Knochensplittern durchbohrt, als sein Brustkorb explodierte, die Leber wurde zu Brei und seine Eingeweide lösten sich und rissen.
    Und nichts tat weh.
    Überhaupt nichts.

22
    Lois vergaß nie das schreckliche dumpfe Geräusch, das Ralphs Aufprall auf der Harris Avenue begleitete, ebenso wenig die Blutspritzer, die er hinterließ, als er, sich überschlagend, zum Stillstand kam. Sie wollte schreien, wagte es aber nicht; eine tiefe, aufrichtige innere Stimme sagte ihr, wenn sie es täte, würde sie durch die Kombination von Schock, Grauen und Sommerhitze das Bewusstsein verlieren und auf den Bürgersteig sinken, und wenn sie zu sich käme, würde Ralph nicht mehr da sein.
    Statt zu schreien, lief sie los, verlor einen Schuh und bekam nur am Rande mit, dass Pete Sullivan aus dem Ford ausstieg, der fast genau an derselben Stelle stand, wo Joe Wyzers Auto - ebenfalls ein Ford - vor vielen Jahren gestanden hatte, nachdem er Rosalie Nr. 1 überfahren hatte. Sie bekam auch nur am Rande mit, dass Pete schrie.

    Als sie Ralph erreichte, ließ sie sich neben ihm auf die Knie fallen und sah, dass seine Gestalt irgendwie durch den grünen Ford verändert worden war, dass sich der Körper unter der vertrauten Chinohose und dem farbverspritzten Hemd radikal von dem Körper unterschied, den sie noch vor einer Minute an sich gepresst hatte. Aber seine Augen waren offen, und sie
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