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0571 - Die Legende vom grauen Riesen

0571 - Die Legende vom grauen Riesen

Titel: 0571 - Die Legende vom grauen Riesen
Autoren: Jason Dark
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Sie mußte bergauf gehen. Unter ihren Sohlen hörte sie das Kratzen der Steine. Jedes Geräusch strapazierte ihre Nerven, die blank lagen wie von der Isolierung befreite Kabel.
    Manchmal hustete sie auch, weil sie so schlecht Luft bekam. Sie schwitzte, sie fror auch, ein ständiger Wechsel.
    Dabei hatte Wilma nicht gedacht, daß es so schlimm werden würde. Aber wenn sie das Ziel erreicht hatte, konnte sie aufatmen, dann würde alles anders werden.
    Sie hatte von ihm geträumt, er hatte mit ihr gesprochen und ihr den richtigen Weg gewiesen.
    Er befand sich dort, wo die Sonne unterging. Immer auf dem Weg bleiben, das war ihr gesagt worden. Die Leute auf dem Schiff wußten Bescheid. Einige von ihnen waren schon dort gewesen und hatten ihn gesehen.
    Wilma schielte zu Boden. Er hatte seine Farbe nicht verändert. Das Graubraun des Küstenstrichs war auch jetzt geblieben. Der Staub würde im Sommer wallen. Jetzt aber – in der feuchten Luft – klebte er am Boden und an den Felsen fest.
    Vergeblich hielt sie nach etwas Grün Ausschau. Wo sie herschritt, wuchs kein Baum, kein Strauch. Nicht einmal Gras schaute vorwitzig aus den Ritzen. Hier war alles tot, verbrannte Erde, als hätte der Sensenmann reiche Ernte gehalten.
    Eine Welt für sich, die sie unbedingt hatte kennenlernen wollen.
    Eine Welt, zuerst nur in den Träumen, jetzt nahe daran, Wirklichkeit zu werden.
    Die schwarze Schlange um ihren Hals bewegte sich. Sie hob ihr Vorderteil an, natürlich auch den Kopf und drehte ihn so, daß sie der Frau ins Gesicht schauen konnte.
    Aus dem Maul huschte die Zunge hervor, ohne allerdings Wilmas Haut oder die Lippen zu berühren.
    Die Schlange war wie ein Leibwächter, der achtgab, daß sie nichts verkehrt machte.
    Vor erreichen des Ziels hatten die Götter den Schweiß gesetzt. Das merkte auch Wilma, als sie den letzten Rest des Weges anging. Er wurde noch steiler, sie atmete heftig und merkte, wie die Schlange mit dem Unterteil des Kopfes über ihre Stirn hinwegstrich.
    Seltsam, früher hätte sie gedacht, Schlangen wären feucht. Das stimmte nicht. Sie besaßen eine trockene Haut, von Feuchtigkeit keine Spur.
    Die Sonne strahlte wie ein tiefrot eingefärbtes, übergroßes Auge der einsamen Wanderin entgegen. Fast hatte sie die höchste Stelle der Insel erreicht. Wenn sie jetzt stehenblieb und sich umsah, konnte sie hinab in die kleinen Schluchten, die Mulden und auch gegen die Hänge schauen, die zur Küste hin grüner wurden.
    Dort lag auch die Bucht, ein natürlicher Hafen, wo Schiffe anlegen konnten. Zufällig erreichte ihr Blick den Hafen, wo das Schiff ankerte, mit dem sie gekommen war.
    Wilma erschrak.
    Das Boot war nicht mehr da!
    Wilma schaute in eine leere Bucht, als wäre das Bot dort von den anlaufenden Wellen verschluckt worden. Dabei sah sie es noch, nur eben weiter draußen, wo es als heller Fleck zwischen den graugrünen Meereswogen schwamm.
    Die Furcht verwandelte sich in Panik. Weshalb war das Boot gefahren? Es hätte auf sie warten müssen. Wie sollte sie jetzt von der Insel wegkommen?
    Die Schlange verstärkte ihren Druck auf raffinierte Art und Weise.
    Sie bewegte die Muskeln so, daß Wilmas Kopf in eine ganz bestimmte Richtung gedreht wurde.
    Wieder schaute sie nach vorn.
    Der tiefer sinkende Sonnenball schien ihr trotzdem weiter gewachsen zu sein. Noch viel größer kam er ihr vor, und er lag so nahe, als könnte sie ihn greifen.
    Aber sie mußte noch gehen.
    Wie viele Schritte lagen vor ihr? Hundert, etwas mehr oder weniger? Jedenfalls immer bergauf, wobei sie die unterschiedlich aus dem Erdreich wachsenden Steine wie Treppenstufen benutzte und sich immer schneller dem Ziel näherte.
    Die Gestalt aus dem Traum war ihr immer in der Nacht erschienen. Hervorgestiegen aus der Tiefe, hatte sie ihre Träume beeinflußt und Wilma darum gebeten, zu ihm zu kommen.
    Jetzt trennten sie nur mehr ein paar Schritte!
    Plötzlich kam er.
    Wilma blieb stehen, als sie das dumpfe und grollend klingende Rumoren unter ihren Füßen hörte. Die Erde schien zu beben. Sie merkte auch das Zittern, das sich fortpflanzte und zu einem Dröhnen in ihrem Kopf wurde. Die Frau war stehengeblieben. Ihr Blick wurde eins mit der untergehenden Sonne, und aus ihr stieg er hervor.
    Er schien in der Sonne gelauert zu haben. Ein gewaltiger, ein unheimlicher Klotz. Eine steinerne Gestalt, die eigentlich tot sein mußte, aber trotzdem lebte.
    Die Farben Schwarz und Grau wechselten sich bei ihr ab. Zementgrau war der gewaltige haarlose
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