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Scherben

Scherben

Titel: Scherben
Autoren: Ismet Prcic
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Tasche hatte ich um den Fußknöchel gewickelt, falls jemand versuchen sollte, mir meine zerknautschten Klamotten zu klauen, oder das Räucherfleisch und den Sliwowitz, die ich als Geschenk für meinen Onkel reingeschmuggelt hatte; so was gab es in Kalifornien nicht. Enes hatte mir gesagt, ich solle warten, und die restlichen Bosnier zu ihren Anschlussflügen in Städte wie Nashville, Fargo und St. Louis gelotst. Ich saß da und dachte, mir sei kalt. Meine Zähne klapperten. Aber je fester ich die Arme an meinen Körper presste, desto klarer wurde mir, dass es nicht die Kälte war, die mich zittern ließ. Ich sah mich um. All die Menschen, all die Gestalten, Hautfarben, Verhaltensweisen, die ich nicht kannte. Sie gingen ihrer Wege, in Gruppen, zu zweit oder – sichtlich ohne Unbehagen – allein, sie wirkten zielstrebig, während ich dasaß und Mühe hatte, mich nicht zu übergeben.
    Männer mit Schildern, auf denen die Namen andererbedauernswerter Staaten standen, kamen mit Trauben verwirrter Immigranten vorbei, schrien in exotischen Sprachen und ließen den einen oder anderen zu Tode erschrockenen Trottel zurück, der dann wie ich versuchte, möglichst wenig Platz einzunehmen. Da war ein schlaksiger Schwarzer im dunklen Anzug, der mit vier verschieden großen verschleierten Frauen (die Babuschkas ähnelten) herumsaß und tat, als wisse er Bescheid, obwohl er unverkennbar Angst hatte. Nur eine junge Afrikanerin in dunklen Jeans und weißer Bluse, mit kurz geschorenem Haar und glänzenden Augen, strahlte so etwas wie Zuversicht aus. Sie setzte sich, holte aus ihrem Handgepäck ein Buch und etwas zu essen, das Krach machte und dem Aussehen nach stark gesalzen war, dann las sie und mampfte dabei, als säße sie auf einer Parkbank. Am liebsten hätte ich meinen Kopf in ihren Schoß gelegt, damit sie mich berührt und mir sagt, dass alles gut wird.
    Endlich fuhr uns ein Airport-Shuttle – ein stinkender Transporter mit einer einzigen Passagiertür am Heck – durch New York, dorthin, wo wir die Nacht verbringen sollten. Ich konnte nur flüchtige Blicke auf die vorüberziehenden Gebäude, Straßen und Autos werfen; neben mir saß die Afrikanerin, unsere warmen Oberschenkel berührten sich. Fieberhaft stellte ich mir vor, wie sie meine Hand in ihre nahm, mir in die Augen sah und mich wortlos liebte. Ich sah vor mir, wie wir uns umarmten, berührten, einander festhielten, am Strand spazieren gingen, auf einem Sofa schmusten und nach unseren schlafenden braunen Babys mit ihren slawischen Stirnen und afrikanischen Lippen sahen.
    »Da wären wir«, sagte der Fahrer.
    Der Bus bog auf den Parkplatz eines schäbigen Motels und kackte uns hinten aus. Der Fahrer wies uns an, unsere Papiere bereitzuhalten und ihm nach drinnen zu folgen. Ich begriff, dass er das ständig machte und sein Körper mit dem Asphalt unter seinen Füßen vertraut war. Obwohl es nichtdranstand, wusste er, dass man die Tür des Gebäudes aufziehen und nicht aufdrücken musste. Man sah, dass er den Manager nicht ausstehen konnte, ihn aber tolerierte, einen ungepflegten Mann arabischer Herkunft, der mich fragte: »Wie viele im Zimmer?«
    »Einer, einer«, sagte ich und hielt meinen Zeigefinger hoch. Er warf einen Blick in meinen Reisepass und ließ mich auf einer gefaxten Liste neben meinem Namen unterschreiben. Dann drückte er mir einen Schlüssel in die Hand. Auf dem orangefarbenen Rechteck aus Plastik, das daran hing, stand die Nummer 7. Er zeigte darauf, dann wandte er sich an die Afrikanerin.
    »Wie viele im Zimmer?«
    Ich tat so, als hätte ich Schwierigkeiten, meine Sachen zusammenzuklauben, in der Hoffnung, ihre Zimmernummer mitzubekommen, aber der Fahrer winkte mich zu sich.
    »Indisch oder italienisch?«
    »Bosnisch«, sagte ich. Er verdrehte die Augen.
    »Zu essen! Indisches oder italienisches Essen!«
    Ich hätte mir in den Arsch beißen können.
    »Indisch«, sagte ich. Da schien mir die Gefahr geringer, vor einem Teller mit Schweinefleisch zu sitzen.
    »Punkt sechs morgen früh. Ich klopfe, bis dahin musst du fertig sein«, bläute er mir ein und notierte, wofür ich mich entschieden hatte.
    Zimmer 1 bis 14 waren im Keller, und ich folgte den Pfeilen durch Gänge, in denen zerdellte Wandlampen trübes Licht in immer gleichen Mustern an die Decke warfen. Mein Zimmer befand sich am Ende des Gangs in der Ecke, gegenüber einem Monstrum von Pepsi-Automat. Ich schloss die Tür auf und ging hinein.
    Zimmer 7 war überraschend groß; ein Kingsize-Bett
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