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Scherben

Scherben

Titel: Scherben
Autoren: Ismet Prcic
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trat mit einem Lächeln auf ihn zu, mein Hirn projizierte Koranverse, und ich überreichte ihm alles, was ich hatte.
    »Willkommen in den Vereinigten Staaten. Viel Glück.«
    Ich verließ den Raum auf Beinen, die nicht mir gehörten.
    Ein Mann hielt ein Schild mit der Aufschrift BOSNIEN hoch, ein Mann wie ein Huhn, mit grauer Wollhose, grauer Jacke und einem langen marineblauen Mantel. Er hatte eine raumgreifende Stirn, die sich mit der Zeit bis zum Gipfel seines Eierkopfes hochgearbeitet hatte, und er trug eine Pilotenbrille aus den Achtzigern, deren Gläser in der oberen Hälfte getönt waren und die auf einer Linie mit seinen Augenbrauen abschloss, während sie unten bis zur Mitte der Wangen reichte. Hinter ihm stand als letzte Verteidigungslinie ein uniformierter Polizist, dessen Unterarme wirkten, als wären sie mit seinem Batman-Einsatzgürtel verwachsen; ein rothaariger Riese mit der Stimme eines Wasserspeiers und Händen, die einem Standbild ein Geständnis hätten abringen können.
    »Welche Landsleute wollen uns denn jetzt wieder auf der Tasche liegen?«, fuhr er den Mann mit dem Schild an, der mir vom Ende des Gangs entgegensah. Als er merkte, dass sich mein Schritt verlangsamte, ignorierte er die Frage und kam auf mich zu.
    »Bosnier?«, fragte er auf Bosnisch und ich bejahte erstaunt auf Englisch. Der Mähdrescherfahrer und seine Frau bombardierten den Mann mit einer Salve sich überschneidender Fragen. Kaum hörten sie jemanden eine für sie verständliche Sprache sprechen, wandten sich meine Mitflüchtlinge von mir ab. Unverzüglich wurde ich vom General dieser absurden Komödie zum gemeinen Soldaten degradiert, niemand scherte sich mehr um mich, einige drängelten sich an mirvorbei, um dem kleinen Mann näher zu sein. Ich erinnerte mich, wie mein Freund Omar und ich uns sechs Monate zuvor an Bord einer Fähre, die uns von Frankreich nach Dover brachte, vom Rest unserer Theatertruppe abgesetzt hatten und auf dem Schiff umherspaziert waren, und wie wir jeden, dem wir begegneten, aufs Gröbste in unserer Muttersprache beleidigt hatten, übermütig und voller Angst, wir könnten auf den einzigen Passagier treffen, der uns die Köpfe einschlagen würde, sobald er begriff, dass wir unterstellten, er sei von einem Wasserbüffel gezeugt worden, als dieser einen arschgesichtigen Esel vergewaltigte.
    »Wenn Sie aus Bosnien sind, sammeln Sie sich bitte hier bei mir«, rief der Mann mit dem Schild. »Ich bin Enes vom bosnischen Konsulat. Willkommen in New York City. Die meisten von Ihnen müssen einen Anschlussflug erreichen, und ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
    Die Bosnier drehten durch, redeten alle gleichzeitig auf ihn ein, wedelten mit ihren Tickets, ihren gelben Einwanderungsunterlagen, drängten nach vorne. Enes versuchte sie zu beruhigen, schüttelte den Kopf, schrie, er würde niemandem helfen, wenn sie sich nicht in einer Schlange anstellten.
    Mich machte der Anblick traurig, also lief ich ein paar Schritte. Mein Flug ging erst am nächsten Tag, und ich wusste, dass ich über Nacht in New York bleiben musste. Ich schlenderte von der Gruppe weg, bemühte mich, einheimisch auszusehen. Mein Magen verkrampfte, und wieder hatte ich das Gefühl, rülpsen zu müssen. Diesmal fiel ich nicht drauf rein und schluckte nur ein bisschen Spucke.
    »Die Ratten kommen«, sagte der rothaarige Polizist zu einem amerikanischen Passanten, der auf den Tumult aufmerksam geworden war. Ich starrte ihn böse an, direkt in seine grünblauen Augen. Er hielt meinem Blick stand.
    »Sprichst du Englisch?«, herrschte er mich an, artikulierte die Worte überdeutlich.
    Im Bosnischen gibt es ein Wort, zaprška , ein kulinarischer Begriff, der etwas bezeichnet, das vielen bosnischen Gerichten den letzten Schliff verleiht: goldbraune Butter, die mit rotem Paprikapulver in einer Pfanne gebraten wird, eine grell orangefarbene Sauce (von genau derselben Farbe wie die Haare des Polizisten), die man in Eintöpfe oder über gefüllte Paprika gibt.
    » Zaprška «, sagte ich und schenkte ihm mein schönstes Frisch-vom-Schiff-Lächeln: » Jebem li ja tebi mater hrđavu, jesi’l čuo! «
    Ein paar Bosnier hörten es und glucksten.
    »Ich weiß, dass du mich verstehst«, schrie der Polizist, doch ich zog mein Ticket aus der Tasche, schob mich zwischen zwei Bosnierinnen und winkte, um Enes’ Blick auf mich zu lenken.
    » Hej care, ka je avion za Los Anđeles? «, rief ich.
    Ich saß da und schaute mir die Leute an, den Schultergurt meiner
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