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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Vorwort
    Wer möchte eigentlich noch im Kapitalismus leben? Wenn wir aktuellen Umfragen glauben, allenfalls noch eine Minderheit. Bei einer repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts emnid vom August 2010 gaben 88 Prozent der Bundesbürger an, dass sie sich eine »neue Wirtschaftsordnung« wünschen. Der Kapitalismus sorge weder für »sozialen Ausgleich in der Gesellschaft« noch für den »Schutz der Umwelt« oder einen »sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen«. In die gleiche Richtung weist eine Umfrage der Universität Jena vom Herbst 2010, nach der 45 Prozent aller Befragten und 52 Prozent aller unter Dreißigjährigen die Aussage unterstützen: »Der Kapitalismus richtet die Welt zugrunde.« Eine Allensbach-Umfrage vom Februar 2012 zeigt, wie gravierend sich die Auffassungen zu dieser Frage in den vergangenen zwanzig Jahren verändert haben. Während im Jahr 1992 immerhin noch 48 Prozent der Bundesbürger Kapitalismus mit Freiheit verbanden, tun dies heute nur noch 27 Prozent. Assoziationen von Kapitalismus mit Fortschritt sind im selben Zeitraum sogar von 69 auf 38 Prozent zurückgegangen.
    Ein deutliches Zeichen für eine Gesellschaft im Aufwind ist es, wenn die Eltern daran glauben, dass es ihren Kindern besser gehen wird als ihnen selbst. Befindet sich ein System im Niedergang, verschwindet dieser Glaube nicht nur, er verkehrt sich ins Gegenteil. Wer traut dem Kapitalismus heute noch zu, dass er künftigen Generationen ein besseres Leben ermöglicht?
    Selbst die Kapitalisten scheinen nicht mehr uneingeschränkt von ihrer Ordnung überzeugt zu sein. »Man kann durchaus sagen, dass daskapitalistische System in seiner jetzigen Form nicht mehr in die heutige Welt passt«, bemerkte im Winter 2012 der Chef des glamourösesten Treffens der kapitalistischen Entscheidungselite, der Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, Klaus Schwab.
    Tatsächlich gibt es auch in Deutschland für die meisten Menschen immer weniger Grund, das bestehende Wirtschaftsmodell für attraktiv zu halten. Kein Arbeitsplatz ist mehr sicher, nicht einmal im Wirtschaftsboom, seit es als normal angesehen wird, dass Firmen auch bei bester Gewinnlage tausende Stellen streichen und die Dividenden im Gleichschritt mit der Zahl der Leiharbeiter steigen. Der Unterschied zwischen Aufschwung und Krise reduziert sich heute für einen nicht geringen Teil der Bevölkerung auf den Wechsel zwischen Hartz-IV-Aufstockerleistungen und Hartz IV pur. Noch nie gab es in Deutschland so viele Millionäre und noch nie so viele Tafeln und Suppenküchen, vor denen sich in immer größerer Zahl die Ausgestoßenen und Fallengelassenen drängen. Darunter viele Kinder, denen diese Gesellschaft keine Chance geben wird. Noch nie war der Reichtum weniger so groß, aber auch noch nie die Zukunftsangst und Unsicherheit vieler.
    Der heutige Kapitalismus lässt nicht allein Oben und Unten in einer Weise auseinanderklaffen, die jeden Menschen mit normal entwickeltem Sozialgefühl entsetzen muss. Er zerstört – systematisch, hartnäckig und brutal – auch die Mitte der Gesellschaft. Das reguläre Normalarbeitsverhältnis, welches Planungssicherheit und Perspektive gibt, existiert für junge Leute fast nicht mehr. Über die Hälfte aller neuen Jobs sind befristet, immer mehr werden so jämmerlich bezahlt, dass man von ihnen nicht leben kann. Wer ein kleines Unternehmen gründet oder führt, wird immer öfter vom Kreditgeiz der Banken in die Pleite getrieben. Egal, ob die Geschäftsidee ihn hätte tragen können oder nicht.
    Der Privatisierungs- und Liberalisierungsirrsinn hat die Grundversorgung deutlich verschlechtert und teilweise außer Kraft gesetzt. Private-Equity-Haie kaufen Wohnungen und lassen anschließend die Häuser verrotten. Die auf Profit getrimmte Bahn wartet Gleise und Züge so schlampig, dass bei den geringsten Witterungsunbilden ein Verkehrschaos droht. Vier große Energiemonopolisten diktieren stetigsteigende Preise und verzögern nicht nur nach Kräften die Energiewende, sondern machen sie mit ihren Renditeansprüchen auch zu einem fast unerschwinglichen Projekt. In privatisierten Krankenhäusern werden Kranke zum Gegenstand einer Gewinnkalkulation, die ihre Behandlung rechtfertigen muss. Der Weg zum nächsten Postamt ist lang geworden, seit es kein Amt mehr ist.
    Statt in allen Bundesländern gleiche Bildungschancen zu gewährleisten, hat im deutschen Bildungssystem die Kleinstaaterei überlebt. Soziale Unterschiede werden eher
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